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Blog #4/17 - Anpassung – Kunst als Träger von Politik?

Blog #4/17 - Anpassung – Kunst als Träger von Politik?

von Martin Gobbin

„Für mich ist das kein politischer Film“, meint Liu Zhenyun bei der Podiumsdiskussion nach der Aufführung von I am not Madame Bovary (Wo bu shi Pan Jin Lian). Liu ist Autor des Romans, der dem Film zugrunde liegt – für das Drehbuch hat er sein Werk angepasst. Der Film selbst erfuhr ebenfalls „Anpassungen“: Laut IMDB betrug die Laufzeit ursprünglich 128 Minuten, nach Konsultationen mit der Zensurbehörde kommt das Werk von Regisseur Feng Xiaogang nun auf 140 Minuten. Eine solche Streckung um 12 Minuten legt nahe, dass die staatliche Aufsicht den Film durchaus als politisch ansieht. Aber vielleicht ist ja Lius öffentliche Dementierung jeglicher politischer Intentionen ebenfalls eine Form der Anpassung: Bei der Vorführung ist immerhin der Kulturattaché der chinesischen Botschaft anwesend. Und wie man etwa aus dem Fall Ai Weiwei weiß, schreckt die Regierung in Peking nicht davor zurück, kritische Künstler zu drangsalieren.

WDK17, I Am Not Madame Bovary, © Fan Bingbing Studio_03

Dass der Film politisch ist, steht eigentlich außer Frage. Es geht um Lian, eine einfache Frau vom Lande, die mit der Entscheidung des lokalen Gerichts zu ihrer Scheidung nicht zufrieden ist, sich deshalb bis nach Peking durchklagt und insgesamt zehn Jahre für das kämpft, was in ihren Augen gerecht wäre. Ihre Entschlossenheit kostet einige Amtsträger den Job – weniger weil sie falsch entschieden oder Lian ignoriert haben, sondern eher weil sie das Gefahrenpotenzial unterschätzt haben, das von Lians Fall für das Image des Staatsapparats ausgeht. Der Film stellt die meisten Politiker als inkompetent und egoistisch dar – das Volk, für das sie arbeiten sollen, scheint sie nicht zu interessieren. Der Autor Liu Zhenyun meint aber, er habe lediglich die individuelle Geschichte einer Bürgerin erzählen wollen. Doch wenn diese Geschichte vom jahrelangen Kampf gegen „das System“ nicht politisch ist, dann dürfte es schwer sein, überhaupt irgendeinen Film als „politisch“ zu bezeichnen.

Auch das chinesische Publikum scheint das Werk als Kritik an der Lage der Nation verstanden zu haben. Liu erzählt bei der Podiumsdiskussion, viele Zuschauer hätten sich verwundert gezeigt, dass der Staat diesen Film überhaupt zulasse. Zahlreiche Politiker wiederum hätten ihm die Hand geschüttelt, so Liu weiter, und ihn für den Film gelobt. Diese Darstellung lässt – neben der Bestätigung der politischen Ausrichtung – noch einen anderen, problematischeren Schluss zu: Dass das Werk in China gezeigt werden darf und dass staatliche Würdenträger den Film für gut befinden, zeigt schließlich auch, dass das autoritäre Regime in Peking sich öffnet. Und diese Message hat natürlich ein viel stärkeres Gewicht, wenn die Regierung sie nicht per Eigen-PR, sondern über einen Künstler verbreitet.

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Insofern ist die viel wichtigere und komplexere Frage, ob I am not Madame Bovary denn tatsächlich ein kritischer Film ist. Zwar stellt er viele Offizielle als arrogant, unfähig und ungerecht dar. Zugleich aber begrenzt er diese Defizite auf die kleinen Fische im Teich, die niederen Lokalpolitiker. Ein höher stehender Amtsträger hingegen erhält eine lange Szene, in der er seine Untergebenen mit einer Mischung aus emphatischer Empörung und Weisheit dafür schilt, dass sie nur an sich statt an das Gemeinwohl denken. Im Finale taucht eine ähnlich pathetische Szene auf, in der einer der gescholtenen Lokalpolitiker einen Moment tiefer Einsicht erlebt und seinem Kollegen erklärt, dass sie fortan im Dienste des Volkes arbeiten sollten. Dieses Szenen wirken wie ein Ausgleich der vorherigen Kritik, wie eine Beschwichtigung, dass es zwar faule Äpfel gibt, das System selbst aber intakt ist. Angesichts der Länge der ersten Szene sei zudem daran erinnert, dass die Zensurbehörden laut IMDB für eine zwölfminütige Streckung des Films verantwortlich sind.

Hinzu kommt, dass Lians Kampf gegen chinesische Windmühlen keineswegs als eindeutig gerechtfertigt dargestellt wird. Ursprünglich geht es ihr um die Annullierung ihrer Scheidung – diese sei ein mit ihrem Mann abgestimmtes Täuschungsmanöver gewesen, erläutert Lian, um eine größere Wohnung vom Staat gestellt zu bekommen und trotz der Ein-Kind-Politik ein zweites Kind gebären zu dürfen. Als ihr Mann nach dieser Fake-Scheidung plötzlich eine andere Frau heiratet, sieht Lian sich um die Früchte ihrer Hinterlist betrogen und will die Scheidung deshalb zurückziehen, um sie anschließend erneut einzureichen, als Bestrafung ihres untreuen Ex-Mannes. Der lokale Gerichtshof aber erklärt die von den Eheleuten inszenierte Scheidung für gültig, wogegen Lian dann vorgeht. Kurzum: Regisseur Feng Xiaogang portraitiert Lian keinesfalls als heroische Kämpfernatur, sondern als Schurkin, die sich Leistungen vom Staat erschleichen will und dafür die Karrieren mehrerer Beamter zerstört. Als ihr Verfahren endgültig scheitert, will sie sich sogar umbringen, „weil sie nun kein Ziel mehr im Leben hat“, erklärt der Erzähler.

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Dieser Konflikt zweier möglicher Lesarten, also die Frage, ob hinter der Systemkritik möglicherweise eine Affirmation steckt, wird bei der Podiumsdiskussion leider nur kurz angeschnitten, aber nicht weiter verfolgt. Das Gleiche gilt für die eigenwillige Formsprache des Films, der hauptsächlich mit kreisrunden, seltener auch mit nahezu quadratischen Bildausschnitten arbeitet, die an klassische chinesische Malerei erinnern. Kein Wort fällt zur literarischen Figur Pan Jin Lian aus dem Originaltitel, die mit Madame Bovary im englischen Titel nur unzureichend übersetzt ist. Und nichts zur mitunter bitterbösen Kritik des Films am chinesischen Turbokapitalismus – und das, obwohl ein Bauer Lian bittet, sich auf der Obstplantage des Nachbarn zu erhängen, um dem Konkurrenten zu schaden. Stattdessen darf die deutsche Filmemacherin Irene von Alberti – deren Funktion sich bei dieser Diskussionsrunde leider darauf beschränkt, eine Frau zu sein – die Filmzensur des autoritären Regimes in China mit dem deutschen System der Filmförderung vergleichen. Da, und vor allem bei den politischen Euphemisierungen von Liu Zhunyen, wären kritische Einwände der Moderatoren spannend gewesen. Zu oft wurde freundlich genickt, wenn ein Einspruch oder ein Hinterfragen produktiver, aber eben auch konfrontativer gewesen wäre. Auch für dieses Verhalten passt der Begriff „Anpassung“.

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