Menü

Blog #7/16 - In Kontexte gezwungen

Blog

Blog #7/16 - In Kontexte gezwungen

Blog #7/16 - In Kontexte gezwungen

von Ekkehard Knörer

Lewis Klahr hat eine Garage. Sie ist sein Fundus eher als sein Archiv. Seit Jahrzehnten sammelt er hier das Material, aus dem dann seine Filme bestehen. Die Filme sind animierte, choreografierte, nach allen Regeln einer sehr idiosynkratischen Kunst arrangierte, rearrangierende Collagen dieses Bildmaterials.

Das Material ist alles andere als beliebig, es ist, wenn man Klahr­Filme kennt, sofort erkennbar als Klahr­Material: datiertes Bildmaterial (Sixties), dated (wenige Anschlüsse für Retro­Hipness), aus der Zirkulation genommen, tot, Fotos und Bilder aus Illustrierten, Pop­Stuff, der übrig blieb. Diese Bilder, Bild­Dinge, reißt Klahr aus den Kontexten, in die sie gehörten. Er schafft sie weg, rafft sie zusammen.

Er schafft neue Kontexte, in denen das Zeug, die Bilder, der Pop­Stuff nicht so sehr zu sich kommen, sondern eher in den strudelnden Strom eines flottierenden Unbewussten gerissen werden. Da sind sie nun ruhelos, nicht mehr tot. Ob man das Leben nennen kann, oder “Wiederbelebung” (wie Klahr es im Gespräch hinterher tut), ist eine andere Frage. Vielleicht eher ein Untotentanz.

erigone's daughter 1300
© Lewis Klahr

Das klingt abstrakt. Es ist aber alles sehr konkret, jedenfalls darin, dass die Elemente der Filme anderes sind als nur Farbe, nur Form, nur Bewegung. Klahr reißt sich und sein Werk aus dem experimentalfilmhistorischen Zusammenhang der abstrakten Bild­und­Ton­Film­Collagen in einen eigenen Zusammenhang rearrangierender Konkretion. Am Identifizierbarsten sind die Cutouts aus Comics. Billige Comics, Detektivcomics der Sechziger, Gebrauchskunst. Pulp, dessen Stofflichkeit (billiges Papier, billige Farben) sich in die Stofflichkeit der Klahr­Filme überträgt.

Die Comic­Cutout­Figuren sind der Fundus, aus dem Klahr seine menschlichen ProtagonistInnen nimmt. Nur kann man nicht unbedingt sagen, dass die Filme um ihre menschlichen ProtagonistInnen zentriert sind. Sie sind eigentlich gar nicht zentriert, sondern flottieren, kreisen, strudeln, gehen weg, kommen zurück. Es gibt auch jede Menge protagonistisches Zeug, in “Sixty Six” Bilder von Häusern, modernistische kalifornische Architektur mit viel Glas. Zu diesem Zeug stehen die Figuren in einem Verhältnis. Nur kann man nicht sagen, dass hier Menschen Häuser bewohnen. Eher: Figurenmaterial kommt mit Hausmaterial in Kontakt. Es arrangiert und rearrangiert sich. Es berührt sich und fügt sich und berührt sich und fügt sich auch nicht.

5957
Lewis Klahr stellt Sixty Six dem Publikum vor. © Héloïse Faure

Die Musik, die dabei anschwillt und abschwillt, fügt Affekte hinzu, streicht Affekte darüber, pointiert, kommentiert, fordert, will etwas, durchaus Gefühle. Manchmal will ich mit, manchmal auch nicht. “Sixty Six” ist ein Film aus zwölf Filmen. Ein Spielfilm in zwölf Kapiteln. Eine Serie aus zwölf Folgen. Klahr bittet das Publikum in seiner kurzen Einführung, nicht die Filme als einzelne zu nehmen, sondern auf das große Ganze zu sehen. Man müsse seine Filme nehmen, wie man Musik nimmt.

Also folgt man Motiven, die auftauchen, verschwinden, wiederkehren, man folgt den Häusern, den schraffierten Bildkörpern, den im Bild schwebenden Sofas, der Wurst und den anderen Speisen, den knopfartigen Scheiben, den Mustern, den Dingen, dem Pop­Stuff, dem ganzen strudelnden Zeug, das einen in diesen neunzig Minuten überfällt, das sich auch wieder entzieht, das einem nicht sagt, was man mit ihm anfangen soll.

Die Titel der einzelnen Filme (“Ichor”, “Ambrosia”, “Orphacles”, nur zum Beispiel) weisen in Richtung Mythologie, Saturn, (der Gott, der Planet) spielt eine Rolle, aber vieles bleibt kryptisch, die Alte Mythologie bildet in jedem Fall einen Kontrast zu den von Klahr privatmythologisch rearrangierten vernacular landscapes des kalifornisierenden Sixties­Bildmaterials. (Wobei: Wenn Entortetes auf Entortetes trifft, verschwimmt der Kontrast. Wenn sich auf Klahrs Operationstisch ein Regenschirm und eine Nähmaschine begegnen, nimmt man das recht unbewegt hin.)

The Silver Age 1200
© Lewis Klahr

Was passiert ist, dass ich den Zusammenhängen nicht folge, oder zwar folge, aber hängenbleibe, nicht weiterkomme, abschweife, dass ich mich von den Andeutungen von Narration anziehen lasse und dann nicht mehr weiß, wohin das führt; dass ich den Verbrechen, den Leichen, den Wunden, den lautlosen Schüssen auf der Spur bin, diese Spur dann aber verliere, dass ich mich manchmal sehr verloren fühle in diesem Klahr­Labyrinth, überwältigt und verlassen zugleich, einen großen kalifornischen Himmel zwar ahnend, der diese Materialsammlung überwölbt, aber auch frustriert davon, dass er sich als verdammt privater Himmel immer wieder entzieht. (Also: ein Locken, ein Folgen, ein Verlorensein, ein Entzug.)

Was bleibt, für meinen Genuss: die Texturen, die Schraffuren, die Poren der Bilder, die Kanten, die Schnitte, die unheimlichen komischen Deformationen, die den Comicfiguren im Cutout widerfahren: Es fehlt etwas, der Hinterkopf sagen wir, oder sie haben Sprechblasenkörperteile an unmöglichen Stellen. Wobei dann leider komische Effekte sehr selten sind; was wohl daran liegt, dass Klahr zwar keine serielle Musik macht nach festen Regeln, aber doch extreme Kontrolle ausübt über sein Material. Man spürt die Hand, die dazutut, die wegnimmt, die hält, die führt, die packt, die arrangiert. Klahr lässt das Bildmaterial nicht in die neuen, seine eigenen Kontexte geraten, sondern er zwingt es hinein. Gewalt ist nicht nur Thema, das aufgepoppt und weggeploppt wird, gewaltsam ist das Verfahren in Klahrs Manier.

8939
Debatte über EXHIBITION (v.l.n.r.) mit Lewis Klahr, Antje Stahl, Michael Hack, Michael Salu, Alexander Horwath und Candice Breitzs (nicht auf dem Bild) bei der Woche der Kritik. © Héloïse Faure

So stand ich, auch ratlos, am Ende vor diesem Film. Dann wurde diskutiert. Neben Klahr die Künstlerin Candice Breitz, der Design und Graphic Artist Michael Salu und Alexander Horwath, Leiter des Österreichischen Filmmuseums. Sie sollten über das Thema “Ausstellung” reden, mit einer Moderatorin für die Kunst, einem Moderator für den Film. Sechs Leute, das waren tendenziell vier zu viel. Nicht weil auch nur einer von ihnen Unsinn geredet hätte (ganz im Gegenteil), aber das Thema war zu groß und der Klahr­Film als Gegenstand zu speziell. Ein simples Gespräch mit dem Künstler hätte weiter geführt. Was hilft es, dass man nun weiß, wie Candice Breitz ihr eigenes, den meisten Anwesenden wohl kaum präsentes Werk sieht? Salu und Horwath zogen sich mit schlauen Sachen aus der Affäre, die aber kaum Anschluss fanden an die ohnehin kaum existente Diskussion.

So verließ ich, auch ratlos, das Kino. Es hatte am Tag kurz geschneit. Draußen keine Spur mehr davon.

0 Kommentare Antworten

    Kommentieren