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Up for Debate: Playact

Fiktionen des Zwischenspiels

Von Charlie Bendisch

Es beginnt mit dem Blick auf die Windschutzscheibe, durch deren Firnis der Norden Mexikos erahnbar wird. Die Bilder, die auf der durchsichtigen Oberfläche vorbeigleiten, sind bereits durch das Armaturenbrett als Projektion gerahmt. Sichtbar wird eine schattenlose Landschaft mit glühendem Sand und vertrockneten Sträuchern. In diese Umgebung eingeebnet ist eine Filmgeschichte von Filmen wie EL INFIERNO (2010) und Serien wie NARCOS: MEXICO (2018). Doch FAUNA (2020) will kein Gegenbild inszenieren zu den hermetischen Repräsentationsstrategien dieser Filme, die sich in ein kollektives Gedächtnis eingeschrieben haben. Vielmehr nutzt FAUNA diese nordmexikanische Umgebung mit ihren filmischen Spuren als Ausgangspunkt, um spielerisch neue Erzählkonstellationen einzupflanzen.  

Auf den Leinwänden der letzten Jahre begegneten uns verspielte filmische Formen in multiplen Facetten, verbunden durch den zwanglosen, intuitiven Umgang mit ihren Ideen. Die Verwandlung in einen bürgerlichen Hund wie bei Julian Radlmaier oder die märchenhafte Erscheinung eines gutmütigen Engels in Alice Rohrwachers LAZZARO FELICE schlagen leichtfüßige, utopische Schneisen im wuchernden Kapitalismus. Andere Filme fließen mit ihren Darsteller*innen unbeschwert durch verschiedene Weltentwürfe und entwickeln sich dabei mal expansiv wie in LA FLOR (2018), mal transgressiv wie in LUZ NOS TRÓPICOS (2020) und mal exkursiv wie in FAUNA (2020). Doch was erwächst aus den Abweichungen dieser Filme von klar umrissenen Erzähl- und Darstellungskonventionen? Was zeichnet den spielerischen Film aus?  

Womöglich ist es der Zufall. In FAUNA eröffnet in der Mitte des Films ein Reclamheft einen narrativen Verzweigungsmoment. Dieser entsteht jedoch nicht aus einer Notwendigkeit, sondern ergibt sich aus einem dahinplätschernden Geschwistergespräch. Eingesunken sitzt Gabino auf dem Schaukelstuhl und starrt in die Seiten, Luisa schmeißt ihm ein sauberes Hemd in den Schoß und gezwungenermaßen ergibt sich ein Dialog. Ihr Interesse an der Erzählung des Buches ist zunächst ein Ausweg aus der Stille, der sich jedoch als eigenständiger Arm des Erzählflusses entpuppt. Neugierig senkt sich nun die Kamera entlang der verschlissenen Letter vom HOTEL OASIS – das filmische Interesse verlagert sich. Nichts läuft auf diesen Moment zu, nichts wird durch den Wechsel enthüllt oder durch das Abschweifen ausschraffiert, stattdessen wird eine neue Versuchsanordnung eingeleitet. Entgegen einer effizienten Erzählökonomie wird die anfängliche Investition in die familiären Dynamiken nicht nutzbar gemacht, sondern stattdessen der Exkurs umarmt. Unbekümmert verwischt der Film die realistischen Konturen und gleitet von einer Illusionsschicht in die Nächste, anstatt sie gründlich abzutragen. Als spielerischer Film ist FAUNA im besten Sinne unökonomisch und der Erzählverlauf scheint aus dem Zufall heraus motiviert.  Zwar folgt der Film einer Eigenlogik, jedoch bleibt die Entwicklung offen. Durch diese Offenheit können sich Zufluchtsräume bilden, die die festgelegten Koordinaten des Realismus unterlaufen. 

In SUNRISE IN MY MIND (2020) bildet der glänzende Schaum einer Kopfmassage den Zugangspunkt, an dem die Zeitlichkeit des Films zerfließt und der Bildraum für einen Moment ins Imaginäre diffundiert. Ob durch eine Berührung bei einer Massage oder durch ein Buch: dort wo sich erzählerische Gabelungen eröffnen, werden Möglichkeitsräume aufgeschlossen. Die freigelegten Imaginationen der beiden Filme bleiben dabei immer vorläufig und anschlussfähig für neue Verästelungen. Der verspielte Film erschließt spekulativ, nicht stringent und ist gleichsam präzise in seinen Auslassungen. Spielerische Filmformen verfolgen eine Struktur, die lieber improvisiert als zu kalkulieren. Die Gesten, Bewegungen, Stimmen und Verwandlungen der Spielwütigen rücken damit in den Vordergrund. Dabei kann der spielerische Film fast einen dokumentarischen Modus annehmen, wenn er sich darauf konzentriert, den Akt des Spielens vor einer Kamera festzuhalten. FAUNA exponiert diese grundlegend filmische Unmittelbarkeit, die sich beiläufig als Kern des Films herausschält – eine Studie über das Verhältnis von Repräsentation und Schauspiel und über den Akt der kollektiven, vertrauten Ausübung des Filmemachens an sich. 

 

Ein Video der Debatte finden Sie hier.