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Blog #1/19 – Als Therapiesitzung sehr gelungen

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Blog #1/19 – Als Therapiesitzung sehr gelungen

Blog #1/19 – Als Therapiesitzung sehr gelungen

by Olga Baruk

Begriff Nummer 1021 – scheuer Maximalismus*. Die Veranstalter der Konferenz zum Auftakt der Woche der Kritik wünschen sich nichts sehnlicher, als kritisiert zu werden. „Was it too german? Too male-focused?“ Aus den geladenen Gästen (Bibiana Beglau, Susanne Bredehöft, Milo Rau, Susanne Heinrich, Amelie Deuflhard, Philip Ursprung, Monika Rinck, Anton Gernot, Andrew Kötting, Udo Kier) sowie aus dem versammelten Publikum wollen sie das Böse herauskitzeln. Sie fragen, wo der Spaß geblieben ist und ob alles im Film, Kunst und Theater denn so ernst sein muss. Und wie man heute schmutzig tanzen, wie man vor allem selbst ein subversives Anderes werden kann, anstatt im Wohlwissen um den eigenen Part artige und eindeutig formulierte Botschaften zu senden.

Susanne Bredehoeft © Manuel SchaeferSusanne Bredehoeft    © Manuel Schaefer

Christoph Schlingensief, oder „hundreds of Schlingensiefs“ (Giulio Bursi), ist heute Abend der Ausgangspunkt und das große Vorbild. Wir schauen den satirischen Splatterfilm Das deutsche Kettensägenmassaker von 1990 und zwischendurch immer wieder tolle Ausschnitte aus seinen Fernseharbeiten (Quiz 3000 – Du bist die Katastrophe) und Theaterproduktionen (Hamlet in Zürich, Passion Impossible in Hamburg). Die Schauspielerin Susanne Bredehöft liest aus einem Interview vor. Das alles ist verdammt ansteckend. Schlingensief’sche Überhöhung macht gerade deshalb Spaß, weil sie dem Realen näher gekommen ist als jede realistische Ästhetik. Weil sie es schaffte, das Falsche und das Verlogene in der Politik mit erstaunlicher Sensibilität an die Oberfläche zu bringen.Ich bin mit L., N. und E. heute Abend in der Volksbühne. Wir alle verstehen Spaß, wir erkennen den Spaß ganz bestimmt, wenn wir ihn vor uns haben. Wir spüren intuitiv die Defizite im System und in uns selbst, aber offenbar sind wir zu gut erzogen, um an diesem Abend in irgendeiner Weise an etwas mitzuwirken, was sich an dem uns Präsentierten messen könnte. Ich fühle mich mitschuldig. Ein Foto Christoph Schlingensiefs wird ganz groß an die Leinwand projiziert, in seinem Schatten wirkt heute Abend alles fahl. Wie Bibiana Beglau spüren auch wir „diese Trägheit in uns“. Die Konferenz versucht zum Glück kein billiges Epigonentum, entwickelt sich zum Ende hin aber auch leider immer mehr zu einem gemütlichen Beisammensein. Allein das Format dieser Veranstaltung kann man in Bezug auf ihr Thema unpassend finden. Konferenzen sind einschränkend und sedativ, warum nicht lieber handeln handeln handeln? An diesem Abend wird ein Seiltanz vorgeführt, und mit den Veranstaltern stürzt auch das Publikum in den Abgrund aus Anekdoten, Nostalgie und Persönlichkeitskult gleich mit. Der mit Entgrenzung und Erinnerung betitelte Block ist ein – wenn auch ein berührender – Tiefpunkt des ganzen Abends. Hier beginnt Udo Kier, aufgrund des hohen Alters, Jetlags und großer Traurigkeit, sich bei Dieter Kosslick für die 18 Jahre Berlinale zu bedanken. Auch wenn das die eine oder andere im Publikum vielleicht gedacht haben mag – so naiv ist die Woche der Kritik natürlich doch nicht. Wie Louis de Funès in der Rolle des Kommissars Juve in der Kriminalgroteske Fantômas lockt sie sich selbst erfolgreich in eine Falle, stößt auf ihre eigene Widersprüche. Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit wurde heute Abend bewiesen: Ja, liebe Woche der Kritik, der Fantômas seid ihr!

Susanne Heinrich © Manuel Schaefer
Susanne Heinrich © Manuel Schaefer

Aber tut denn die Auseinandersetzung mit den eigenen Widersprüchen nicht auch ein bisschen gut? Die Zwickmühle ist heute das Leitbild, die Selbstprovokation – der zentrale Begriff, das Jammern – die heilende Maßnahme. Richtig erkannt: Kritik üben ist nicht einfach, Wut und Ärger stauen sich in unseren Inneren, weil wir die nicht rauszulassen wissen. Kann man das lernen? Als Therapiesitzung finde ich die Konferenz sehr gelungen. Bibiana Beglau: „Ich habe keine Lösung.“ Vivien Buchhorn, die die Woche der Kritik mitverantwortet und den ersten Diskussionsblock moderiert, fragt Milo Rau: „Aber warum denkst du, dass das nicht geht?“

Später werden im Foyer vier Tische aufgebaut, man kann den Gästen zuhören, mit ihnen ins Gespräch kommen. Bei einem davon, Jammer-Wettbewerb: Wer leidet am meisten in der Kunst?, beklagt die Regisseurin Susanne Heinrich die neoliberale Vereinnahmung der Film- und Theaterschaffenden, den Druck, sich zu einer Marke machen zu müssen. Sie spricht von der Ambivalenz zwischen schlechtem Gewissen und dem völlig legitimen Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Am Ende des Abends ruft endlich einer aus dem Publikum: „Are you jealous of him? Reveal yourselves!“ Am Ende bleibt mir vor allem die große Sehnsucht in Erinnerung. Es wurde keine Rettung serviert. L., N., E. und ich wissen nicht, wie diese Welt zu retten ist. Begriff Nummer 655: Keine Waffeln am Ende des Tunnels*. Vielen Dank, wir gehen unzufrieden nach Hause.

* Begriffe stammen aus dem Begriffsstudio von Monika Rinck.

Milo Rau, Bibiana Beglau © Manuel Schaefer
Milo Rau, Bibiana Beglau © Manuel Schaefer