Ökonomie der Gefühle: Betroffenheit und Klassenperspektive
Ökonomie der Gefühle: Betroffenheit und Klassenperspektive
von Theresa Rodewald
Es ist merkwürdig, einen Film wertzuschätzen und sich trotzdem an ihm zu stören. Während guilty pleasures nach dem Prinzip ‚Der Film ist schlecht, aber’ in der Regel Spaß machen, ist das Gegenteil (‚Der Film ist gut, aber’) unangenehm. Seit ich Heldin gesehen habe, geht mir dieses ‚Ja, aber‘ nicht mehr aus dem Kopf. Es treibt mich um, wieso ich an diesem guten, wichtigen Film herumkritteln muss. Indem ich seine Erzählperspektive durch das Prisma von Klasse und Klassismus betrachte, will ich diesem Zwiespalt auf den Grund gehen.
Denn Heldin ist ein guter Film – spannend erzählt, gesellschaftlich relevant und solide gemacht. Die Handlung begleitet Floria (Leonie Benesch), die als Pflegefachkraft in einem Schweizer Krankenhaus arbeitet. Ein*e Kolleg*in fällt krank aus und die Station ist komplett unterbesetzt. Floria arbeitet zuverlässig und zügig, bewahrt sich trotz Stress ihr Mitgefühl, macht mehr als sie muss und kommt trotzdem nicht hinterher. Regisseurin Petra Volpe inszeniert das wie eine Folge von The Bear: Der Puls schießt beim Zuschauen in die Höhe, Florias Stress überträgt sich, die Anspannung, das ständige Zu-kurz-Kommen, die Gefahr, einen folgenschweren Fehler zu begehen, sind akut spürbar.
Mit der Spätschicht endet auch der Film. Vor dem Abspann betont ein Zwischentitel den dramatischen Mangel an Pflegefachkräften, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen wird und den die Weltgesundheitsorganisation als globales Gesundheitsrisiko einstuft. Das ist krass. Es macht betroffen. Und genau diese Betroffenheit hat mich gestört.
Denn meine Betroffenheit war still und starr. Ich habe weder Wut geäußert noch mir vorgenommen, mich zu engagieren – ich habe betroffen geschwiegen. Diese Betroffenheit, denke ich, ist auch ein von Klasse geprägtes Gefühl. Ich habe aus der Distanz mitgefühlt. Und ich konnte mir diese Distanz leisten, weil ich selbst nicht als Pflegefachkraft arbeite. Das hat mit mir zu tun, aber auch damit, wie Heldin erzählt. Denn der Film spricht trotz der emotionalen Nähe zu seiner Hauptfigur vor allem über den Pflegenotstand.
Der Film ist sehr gut recherchiert – vom Datenabgleich in der Anästhesie bis zum Aufziehen von Medikamenten. Volpe und ihr Team sind darauf bedacht, den Idealismus vieler (junger) Pflegekräfte, ihre Empathie und die Leidenschaft für ihren Beruf abzubilden. Wenn etwas überhöht wird, dann ist es diese nahezu übermenschliche Leidenschaft und Kompetenz. Der Film blickt zu seiner Hauptfigur auf, was schön ist, aber gleichzeitig Distanz schafft und am Ende eben auch eine Art des Über-jemanden-Redens ist.
Außerdem ist der Pflegenotstand ein politisch und gesellschaftlich gemachtes Problem. Der Film nimmt das nicht in den Blick. Das Systematische, der Zwang, auf Profit bedacht zu arbeiten, bleibt unsichtbar, was die politische Schlagkraft des Films unterwandert.
Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Marcin Wierzchowskis Das deutsche Volk begleitet die Angehörigen der beim rassistischen Anschlag in Hanau Ermordeten. Die Dokumentation beobachtet still, lässt die Ereignisse für sich sprechen und legt so Stück für Stück die Wurzeln des Anschlags offen, den alltäglichen, systemischen Rassismus in Deutschland. Trotz der Ungerechtigkeiten und dem Unverständnis, mit denen sich die Angehörigen konfrontiert sehen, trotz ihrer Frustration, hat mich der Film am Ende nicht einfach betroffen gemacht, sondern aktiviert und motiviert, zu handeln. Den Unterschied macht die Erzählhaltung, denn obwohl der Film beobachtet, gibt er seinen Protagonist*innen Raum, erzählt nicht über, sondern mit ihnen.
Was hat das mit Klasse zu tun? Ich habe den Eindruck, dass Heldin, trotz Mitgefühl und Bewunderung für seine Figur, aus einer Position kultureller und sozialer Privilegien erzählt, die er nicht ablegen kann und aufgrund derer der Film ein Bild von „den Pflegefachkräften“ und „dem Pflegenotstand“ vermittelt. Das lässt Pflegepersonal am Ende doch als „die anderen“ erscheinen und macht den Notstand zu einem Problem, das unbedingt gelöst werden sollte (von jemand anderem).
Der Film ist gut, er meint es gut und er kann auch Gutes bewirken. Er trägt dennoch Denk- und Erzählmuster weiter, die individuelle Betroffenheit erzeugen anstatt zum solidarischen Handeln zu motivieren.