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Blog #9/19 – Es gibt nichts zu erzählen

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Blog #9/19 – Es gibt nichts zu erzählen

Blog #9/19 – Es gibt nichts zu erzählen

von Andrey Arnold 

Am Donnerstag war ich bei der letzten Abendveranstaltung der Woche der Kritik. Es war viel los, der Kinosaal voll. Motto des Abends: „Staging Feminism / Feminismen vorführen“. Gezeigt wurden wie fast immer zwei Filme, erst Pretty Girls Don’t Lie von Jovana Reisinger (29 min), danach Das melancholische Mädchen von Susanne Heinrich (80 min). Beide sind in Deutschland entstanden. Beide beschäftigen sich vor allem, aber nicht nur, mit der Konstruktion von (Geschlechter-)Identitäten in kapitalistischen Gesellschaften. Beide sind, wie man sagt, „stilisiert“: Statt mit Realismuseffekten arbeiten sie mit Zuspitzungen, Überhöhungen und Verfremdungen, die in ihrem Fall primär der Kenntlichmachung und Kritik wahrgenommener sozialer Wirklichkeiten dienen – aber auch dem ästhetischen Vergnügen.

Pretty Girls Don’t Lie macht sich lustig über traurige Zustände. Eine Frau jagt ihren Träumen nach. Ihre Träume sind Reichtum, Schönheit und Bestätigung durch glamouröse Männer. Der Film springt und gleitet dabei ohne immerzu ersichtlichen Handlungszusammenhang durch unterschiedliche mediale Referenzsysteme, die weitgehend ironisiert werden: Gameshows, Reality-TV, Seifenopern, Teleshopping, die Kinowelt der Münchner Gruppe. Ein schmieriger Emcee lädt zur Wahl von Miss Superblondine. Ein Internetvertreter wirbt für Verjüngungssaft. Weil die Sexismen der Gegenwart hier in veralteten Gewändern stecken, vom Habitus her und auch buchstäblich, erscheinen sie als überholt, aber nicht überwunden. Alles ist bewusst ein bisschen windschief und insofern lächerlich: Das Schauspiel, die leicht flippige Musik, auch die Stimme des schnippischen Off-Kommentators. Dabei füllen die guys and dolls das Bild dessen, was sie darstellen sollen, nie ganz aus – was natürlich Grund zur Hoffnung gibt, dass sich alles ändern könnte.

Susanne Heinrich, Nina Power, Whit Stillman, Jovana Reisinger © Manuel-Schäfer
Susanne Heinrich, Nina Power, Whit Stillman, Jovana Reisinger © Manuel Schäfer

Das melancholische Mädchen verfährt in einem ähnlich dekonstruktivistischen Modus. Die sich jedweden Zuschreibungen verweigernde Titelfigur (Marie Rathscheck) fungiert als Scharnier einer Reihe von Tableaus und vignettes, die bestimmte Denk- und Verhaltensmuster, Seinsweisen und Attitüden, Blickregimes und Machtverhältnisse ins Bild setzen. Dank einer Ästhetik, die (fast) alles aufs Gestenhafte reduziert – von den kubistischen Kulissen des punktgenauen Set-Designs bis hin zum hintersinnig-phrasenhaften Dialog –, sich aber gleichzeitig beständig verändert, rückt die Absurdität der Dinge in den Vordergrund. Die Kapitel tragen Titel wie „Utopia“, „Die Suche nach Religion an entzauberten Orten“ oder „Die Überreste der Psychologie“. Auf seiner von betörenden Big-Band-Klängen untermalten Reise durch Vorstellungsräume und Männerbetten klopft das melancholische Mädchen verschiedene Lebensmodelle auf ihre Gangbarkeit ab. Kritische Theorie wird zitiert, durchgespielt und in Buchform abgebildet. Es geht um die Warenform zeitgenössischer Feminismen und die Beständigkeit des male gaze. Um Dating-Kultur als Entfremdungszone, den allgegenwärtigen Selbstoptimierungszwang und seine trügerischen Alternativen.

Die von Frédéric Jaeger moderierte, über weite Strecken englischsprachige Diskussion nach den Screenings versammelte neben den beiden Filmemacherinnen auch die britische Philosophin Nina Power und den US-amerikanischen Autorenfilmer Whit Stillman bei ein paar Gläsern Rum vor der Leinwand. Zunächst wurde nach dem „Staging“ der Filme gefragt und über Ideenfindung und Produktionshintergründe gesprochen. Jovana Reisinger berichtete von ihrem Dreh in Bad Füssing, Susanne Heinrich von ihrer Inspiration durch Brecht. Nina Power lobte die beiden Arbeiten, für Das melancholische Mädchen fand sie die interessante Umschreibung „Netflix of the soul“. Dann meldete sich Whit Stillman zu Wort – und markierte einen Einschnitt. Seine Neugier gelte der Nutzbarmachung „alter Formen“ wie der Bildsprache des Stummfilms, er glaube nach wie vor an die Ausdrucksfähigkeit des narrativen Kinos. „I think we should get over stories“, konterte Heinrich. Stillman: „I don’t.“

Dass sich die hiermit aufgemachten Fronten umgehend durch den ganzen Saal zogen, war im Raunen und Lachen des Publikums spürbar. Eine altbekannte Dichotomie: Distanz vs. Identifikation, Erzählung vs. Montage, Kunst als Ordnung der Verwirrung vs. Kunst als Verwirrung der Ordnung , „Comfort“, wie es Heinrich formulierte, vs. Irritation. Trotz etwaiger Abschweifungen und einer relativ zügigen Wendung ins Versöhnliche blieb der Zwiespalt bis zum Ende des Gesprächs bestehen.

© Manuel Schäfer
© Manuel Schäfer

Anfangs ärgerte mich das. Hauptsächlich, weil er wie so oft eine grundlegende Reflexion der verwendeten Begriffe verhinderte. Allerdings auch, weil Stillmans Kritik an den präsentierten Filmen (an einer Stelle attestierte er ihnen einen „conformist point of view“) mir zum Teil nachvollziehbar schien, hier aber den unschmeichelhaften Eindruck der kurzsichtigen Einlassung eines aus der Zeit gefallenen alten Mannes im Kreise progressiver junger Frauen erweckte. Was mich etwa an Das melancholische Mädchen irritiert hatte, waren weniger seine Sittenbilder, in denen ich nur mir hinlänglich bekannte Sackgassen der politischen Gegenwart gespiegelt sah, sondern sein reibungsloses Funktionieren als „System“ aus aufeinander verweisenden Versatzstücken, als den ihn Heinrich laut Eigenangabe konzipiert hatte, eine bis zum letzten Glitch durchkalkulierte, satirische Analyse der Ausweglosigkeit, die Power treffend, wiewohl positiv konnotiert, als „closed world“ bezeichnete.

Nur führt leider auch dieses Denken in Sackgassen. Insofern ließ ich meinen Ärger vorerst ziehen, die Filme sickern und ein paar Fragen sprießen, die ich vielleicht gleich hätte stellen sollen:

Ist es wirklich sinnvoll, zwischen Narration und ihrem Gegenteil zu unterscheiden?

Kann man sich mit Identitätslosigkeit identifizieren?

Was ist wirkmächtiger: ein Film oder der Kontext, in dem er gezeigt wird?

Tatsache ist nämlich, dass Heinrichs und Reisingers Filme im deutschen Laufbildstrom Anomalien darstellen, obwohl es ein paar Geistesverwandte gibt (Irene von Albertis Der lange Sommer der Theorie, die Arbeiten von Julian Radlmaier und Max Linz). Nur weil sie mir wenig Neues eröffnen, heißt das noch lange nicht, das es anderen genauso geht. Also raus mit ihnen – am besten an Orte, wo sie überhaupt nicht hinpassen.