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Blog #9/18 - Claiming Transformation

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Blog #9/18 - Claiming Transformation

Blog #9/18 - Claiming Transformation

von Carolin Weidner

Das Kino in den Hackeschen Höfe ist eine Sonde, in die man gestern Abend gegangen war, um zu verschwinden. Oder gar nicht erst aufzutauchen, oder erst sehr viel später als erwartet. Es beginnt schon alles sehr vage: Bevor überhaupt ein Film zu sehen ist, ertönt von hinten eine Stimme, die auf Englisch etwas von Transformationen und Insekten erzählt. In lakonischem Tonfall, beschwörend und dann doch irgendwie abseitig, abwesend. Eine Frau stimmt mit ein. Und dann ist man, obwohl man es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ahnen kann, genau richtig eingestimmt für das, was jetzt kommen wird, denn fortan zerstückelt und zerfließt es, stockt, holpert weiter, verhaspelt sich, nimmt wieder Geschwindigkeit auf, verendet und immer so weiter.

Der Saal ist nicht sehr voll, als es zwischen den Blättern zu rascheln beginnt: La Bouche von Camilo Restrepo. Ein nicht weiter bestimmter Ort, an dem zwei Frauen zu singen beginnen und ein Mann erst sanft über ein Trommelfell streicht, bevor er es schlägt. Restrepo nimmt die Gesichter relativ lange in den Fokus, es gibt Zeit, sie zu betrachten: den einen Ohrring, den der Trommler trägt, oder das Piercing unter seiner Lippe. Der Hintergrund ist nachtschwarz, Farben und Klänge setzen sich ab. Was in La Bouche genau erzählt wird, erschließt sich mir nicht ganz, es erscheint mir wie ein Ritual, das mich betört, vor allem diese Blätter, die den knapp zwanzigminütigen Film rahmen, und dann dieses Trommelfell.

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Auch in Péter Lichters The Rub gibt es eine Art Rahmung, die mir zusagt und die für mich zu den Stärken dieses ungarischen Experimentalfilms zählt: eine schwarz-weiße Sonate von Einzelelementen, die sich gegenseitig bedrängen, besuchen, ja etwas miteinander anstellen. Stundenlang könnte ich diesem formlosen Gedränge zusehen, doch Lichter verlangt es dann doch nach Spuren des Gegenständlichen: Einzelne Frames einiger mehr oder weniger bekannter Filme tauchen auf sowie eine ungarische Tonspur, der ich gern zu folgen bereit bin, ohne sie zu verstehen. Gegen die Untertitel hingegen, die offenbar etwas mit Shakespeare zu tun haben, setze ich mich relativ schnell zur Wehr, mir genügt das Zusammenspiel aus fremder Sprache und Bildreigen, der das Ergebnis von äußerlich bearbeitetem Filmmaterial ist: bemaltes, vielleicht auch angezündeltes, in jedem Fall aus seinem ursprünglichen Zusammenhang geholtes.

Zwischendrin immer wieder extrem qualitätslose Aufnahmen vom Vorführgerät, wie es einsam, verlassen und grau herumsteht. Das gefällt mir auch. Nach einer Stunde endet The Rub ebenso, wie er begonnen hat. Die Rückholung in den Kinosaal ist (intendiert) verstörend: von hinten wieder diese Stimme, die es sich nun anscheinend in den oberen Reihen gemütlich gemacht hat. Mit ihr einige andere, zum Beispiel Péter Lichter. Das Gespräch, das an keiner Stelle zu einem solchen wird, sondern oft selbstvergessen, sich dann wieder aufraffend, dabei aber erstaunlich eisern, von einem Thema (das mir genauso unklar bleibt wie die beiden Filme, was mich im Gesamteindruck aber eigentlich eher erfreut) zum nächsten schlurft, muss man in unbequemer Drehbewegung mitverfolgen.

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Immerhin drängt auf diese Weise ein Eindruck in die Nase, den man sonst vielleicht versäumt hätte: der Geruch von mittelalten Kinosesseln. Einige Zuschauer*innen bleiben stur nach vorn gerichtet sitzen und gucken ins Schwarze. Andere gehen. Blicke ich mich um und betrachte das Mitpublikum, stelle ich fest, wie jung es ist. Nach einer Weile, vielleicht einer Stunde, erscheint plötzlich Madeleine Bernstorff in der noch immer aneinander vorbeisinnierenden Gruppe. Total frisch und ein bisschen aufgedreht, führt sie die Runde noch einmal in ganz andere Sphären, auf einmal geht es um Aktivismus in den 80er und 90er Jahren, was wiederum Jean-Pierre Bekolo aktiviert, der die mangelnde Diskussionskultur während der Berlinale beklagt und nicht versteht, warum man Weißen Afrika immerzu wieder von vorn auf Kindergartenniveau erklären müsste. Es geht um Kapitalismus und Supermärkte, und Péter Lichter gesteht, dass er sich wünscht, einmal von Bildern verwandelt zu werden. Schließlich interferiert Müdigkeit mit der fortschreitenden Zerfledderung der Zerfledderung. Man beschließt, vor der Türe weiter zu transformieren.

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