Film Text: Horse Tail
Film Text: Horse Tail
Horse Tail
Von Lukas Förster
Linguistisch betrachtet ist die Metapher zunächst eine bloße Hilfskonstruktion: Ein Begriff wird aus seinem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang herausgelöst und in einen anderen übertragen, um etwas Neues sagbar, oder etwas bereits Bekanntes anschaulicher werden zu lassen. Anders als etwa der Vergleich oder die Allegorie hat die Metapher allerdings die Tendenz, sich zu verselbstständigen, einen Eigenwert zu entwickeln – eben weil sie keine Eins-zu-Eins-Entsprechung ausdrückt, sondern auf diffuseren Sinngebungsmechanismen wie Oberflächenähnlichkeit und Assoziation beruht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Psychoanalyse, deren zentrale Metaphern, insbesondere soweit sie Sexuelles betreffen, sich als um einiges langlebiger und popkulturell ergiebiger erwiesen haben als die Theoriebildung, der sie einst entsprungen waren. Wenn also in Kuthiraivaal von Manoj Leonel Jason und Shyam Sunder der Angestellte Saravanan (Kalaiyarasan) eines Morgens nach dem Aufwachen entdeckt, dass ihm am Steißbein ein buschiger Pferdeschwanz gewachsen ist, dann können wir uns auch ohne Freud-Lektüre zumindest ungefähr ausmalen, wohin im Folgenden die Reise gehen wird.
Für die Kino-Metapher ergibt sich das Spezialproblem, dass sie nicht im Bereich des Symbolischen verbleiben kann, sondern sich, sobald sie gefilmt wird, auch als sinnliches Phänomen materialisiert und als solches thematisiert werden muss. Die filmische Metapher, das ist der Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Oder eben, im Fall von Kuthiraivaal ganz konkret, der Schwanz, der mit dem Film wedelt. Für uns im Publikum heißt das, dass wir über weite Strecken einem Mann zuschauen, der sich damit arrangieren muss, dass an seinen Lenden etwas befestigt ist, das da nicht hingehört und das sich nicht so verhält, wie er es möchte. Dass niemand in Saravanans Umgebung den ungewöhnlichen Körperzusatz wahrzunehmen scheint, ändert aus der Perspektive des Films nicht das Geringste: In dem Moment, in dem sich die Kamera mit der Psychose der Hauptfigur gemein macht, verleiht sie dem überschüssigen Tierhaar kinematografische Realität.
Die Erzählung, die der Pferdeschwanz in Gang setzt, entfaltet sich nicht nach außen und in die Zukunft, sondern nach innen und in die Vergangenheit. Beziehungsweise: Der Pferdeschwanz verwandelt äußere Räume in innere. Das düstere Apartment, in dem Saravanan lebt, wird in labyrinthischen Weitwinkelaufnahmen zum direkten Abbild der zerrütteten Psyche des Protagonisten, und auch sein Arbeitsplatz, ein knallbuntes Großraumbüro, ist als Spiegel seiner zunehmenden mentalen Entwurzelung lesbar. In der zweiten Hälfte öffnet sich schließlich ein dritter zentraler Raum, ein Erinnerungsraum, ein Raum der Kindheit, der den Film gleichzeitig von der Großstadt in die ländliche, bäuerlich geprägte Provinz versetzt.
Der Blick nach Innen und der Rückbezug auf die familiäre Prägung: Das sind natürlich beides klassische Verfahren der Psychoanalyse. Wenn Saravanan zwischendurch auch noch seinen Namen vergisst und sich selbst „Freud“ zu nennen beginnt, dann wird der Bezug derart überdeutlich, dass man schon wieder skeptisch zu werden beginnt. Bald schon schleicht sich der Verdacht ein, dass der psychoanalytische Diskurs selbst Teil der Psychose ist. Zumindest ist die Psychoanalyse nur ein gedankliches System neben anderen, die allesamt den Versuch unternehmen, Ordnung in eine grundsätzlich chaotische Welt zu bringen, aber letztlich nur noch mehr Unordnung stiften. Genau wie sich in Saravanans Kopf während seiner Krankheitsschübe buddhistische Gesänge und eine Vivaldi-Sinfonie vermischen und wie in den kunstvoll gestalteten Plansequenzen, aus denen der Film hauptsächlich besteht, Kamerarealismus und ausgestellt artifizielle Digitaleffekte nebeneinander existieren, verbinden sich in der Erzählung psychoanalytische Motive und indische Mythologie. Die Metapher wiederum hat keineswegs die Aufgabe, dieses schöne Durcheinander wieder zu entmischen und einen filmisch wie kulturell reinen Urzustand wiederherzustellen. Vielmehr tanzt sie selbst fröhlich mit im Karneval der Zeichen.