Begrüßungsrede der Konferenz
Guten Abend.
Wir wollten Ihnen nach acht Festivaljahren einmal erzählen, was eine Veranstaltung wie die Woche der Kritik kostet. In einem guten Jahr sind es ungefähr 50.000 Euro. In einem schlechten, beispielsweise 2022, rund 20.000 Euro. Für die letzten Festivalausgaben haben viele von uns für die „symbolischen Honorare“ gearbeitet, die Euch aus Euren eigenen Projekten sicherlich wohlbekannt sind und die nicht zufällig so einen schönen, poetischen Namen tragen.
Einige von uns verzichteten ganz auf Honorare. Der Grund war die Liebe zur Sache – also zum Kino, was natürlich mehr ist als eine Sache. Aber auch aus einer Alternativlosigkeit und Ratlosigkeit heraus, wie die Veranstaltung sonst hätte umsetzbar sein können. Der Großteil unserer Mittel ist jedes Jahr dafür nötig, möglichst viele Regisseur*innen unserer Programme nach Berlin zu bringen, ebenso rund 30 jährliche Diskussionsgäste sowie internationale Programmteammitglieder. Weil es bedeutungsvoll ist, sich zu begegnen und an einem Ort gemeinsam zu diskutieren.
Trotz unserer Bemühungen haben über die Jahre viele Filmemacher*innen der Woche der Kritik ihre Filme bei unserem Festival nicht persönlich präsentieren können. Die Woche der Kritik findet seit acht Jahren nahezu ohne Unterstützung der Berlinale statt. Wir waren und sind als Selbstständige und Kleinunternehmer*innen nicht zuletzt in der Pandemie in besonderem Maße abhängig von der Unterstützung durch funktionierende Wirtschaftsunternehmen und Institutionen, die uns strukturell stärken und unseren Diskussionen Sichtbarkeit verleihen. Ohne das Hackesche Höfe Kino sowie unsere Kooperation mit der Akademie der Künste wäre die Woche der Kritik im vergangenen Jahr kaum durchführbar gewesen. Wir danken dafür – und insbesondere Cornelia Klauß und Mechthild Cramer von Laue für die wiederholt gute Zusammenarbeit.
Ebenso danken wir unseren Geldgebern: der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, der Stiftung Kulturwerk, der Rudolf Augstein Stiftung und der Universität der Künste. Wir danken auch den in Berlin ansässigen Botschaften von Brasilien, Spanien und Peru sowie dem Koreanischen Kulturzentrum der Botschaft der Republik Korea, die zahlreichen Gästen der Woche der Kritik ihre Reisen ermöglichen – sowie unseren zahlreichen weiteren Partnern – für ihren langjährigen Rückhalt.
Warum so viel Transparenz? Wenn wir dieses Jahr Fragen der (Für-)Sorge diskutieren und von unseren Gästen verlangen, ihre Arbeitsethik offenzulegen, verlangen wir das natürlich auch von uns selbst. Wir sind ab und zu streng miteinander bei der Woche der Kritik.
In unserer aktuellen, kollektiven Festivalleitung, die aus Amos Borchert, Elena Friedrich, Dennis Vetter und mir, Petra Palmer, besteht, diskutieren wir viel über die Verteilung von Geld und Arbeit, über Hierarchien und Entscheidungen, über Ansprüche an ein Festival und Grenzen des Machbaren, über Nebenjobs und Kinderbetreuung während Zoom-Meetings. Wir sind damit bereits mehrfach gescheitert und waren nicht immer in der Lage, uns gegenseitig aufzufangen. In den letzten Jahren haben mehrere Personen die Festivalleitung der Woche der Kritik aufgegeben – aufgrund von Überlastung, schlechter Bezahlung und dem Mangel an Zeit für andere Projekte.
Unsere Veranstaltung ist aufgrund ihrer geringen Größe den Herausforderungen der Festivalbranche und der prekären Kulturarbeit besonders ausgesetzt. Die Arbeitsbedingungen der Woche der Kritik und anderer Festivals sind nicht reduzierbar auf Fragen der Bezahlung, sondern sie sind eben eine Frage der Zusammenarbeit, des Umgangs miteinander, der Verantwortung füreinander.
Aus den Streitgesprächen und Debatten, die die Woche der Kritik sowohl auf der Bühne als auch im Team prägen, gab es in den letzten Jahren über Fürsorge einiges zu lernen. Immer wieder wurde klar: Ein Streit kann ohne Empathie, ohne Vertrauen, ohne Fürsorge für das Gegenüber kaum gelingen – insbesondere gilt das für öffentliche Streits auf der Bühne, die in der Filmbranche sehr selten geworden sind. Bedeutungsvoll wird eine Auseinandersetzung dann, wenn alle Beteiligten bereit sind, die Verantwortung für ihre Aussagen zu tragen, und wenn daher wirklich etwas auf dem Spiel steht – sei es emotional, oder ideell. Gelungene Streitgespräche erfordern, dass allen Beteiligten die Reaktionen und Situationen ihres Gegenübers wichtig sind.
Und Streitgespräche, auch jenseits der Bühne, zeigen oftmals auf, dass Fürsorge und Konflikte sich nicht ausschließen. Wer will schon mit jemandem diskutieren oder eine Beziehung eingehen, wenn es nicht möglich ist, einander zu widersprechen – oder sich sogar darauf zu einigen, nicht einer Meinung zu sein? Wer möchte eine Freundschaft, in der Fragen nicht offen beantwortet werden und Frust nicht ausgesprochen werden kann? Care nur als Prinzip der Heilung zu verstehen und dabei Differenzen und Konflikte auszusparen, entfernt den Begriff von heutigen Gesellschaften und politischen Verhältnissen – in denen Spannungen an der Tagesordnung sind. Dann fühlt es sich schnell selbstbezogen und privilegiert an, hier in Berlin über Zwischenmenschliches, über Abhängigkeit und Verbundenheit, über Pflege, über den Umgang mit dem Planeten, über ein achtsames Zusammenleben und die Kulturbranche zu sprechen, während andernorts Kriege toben und Achtsamkeit bedeutet, nicht erschossen zu werden.
Care als Ethik des Zusammenlebens zu verstehen – in Joan Trontos Worten alles, was wir tun, um unsere ‚Welt‘ zu erhalten, fortzuführen und zu reparieren, damit wir in ihr so gut wie möglich leben können – ist nicht möglich, ohne auch über Achtsamkeit in Konflikten zu sprechen. Über Strategien, die betonen, wie unverzichtbar es ist, über Dissens hinweg gemeinsam zu handeln statt gegeneinander.
Über unsere politischen Perspektiven auf das diesjährige Programm der Woche der Kritik zu sprechen, war für uns in besonderem Maße eine Erfahrung der gegenseitigen Fürsorge. Wir stritten mehr über Inhaltliches als zuvor, Einzelne distanzierten sich von Filmen, wir widersprachen uns, waren verunsichert oder irritiert voneinander. Wir versuchten Zweifel in der Gruppe ernst zu nehmen, neugierig zu bleiben, einander zuzuhören, aufeinander einzugehen, gemeinsam zu recherchieren, Informationen, Erkenntnisse und Fragen miteinander zu teilen. Wir wollten trotz unserer Differenzen einander vertrauen und aufeinander bauen, voneinander lernen. Und wir hoffen, dass in unserer öffentlichen Diskussion zu den Filmen unseres Programms ebenfalls eine Form von Vertrauen, ein gemeinsames Lernen und vielleicht sogar ein Sinn für Fürsorge aufkommen kann.
Die Fürsorge für ein Kunstwerk und dessen Macher*innen, sollte im Mindesten darin bestehen, ihnen mit offenem Blick zu begegnen und ihre Hintergründe genau zu betrachten, die Herausforderung anzunehmen, die ein Kunstwerk an uns als Publikum stellt, auch wenn es uns überfordert. Wir haben versucht, die Herausforderung unserer diesjährigen Filme anzunehmen und unsererseits Herausforderungen an die Filme und Filmemacher*innen zu formulieren. Wir haben auf das aktuelle Kino reagiert und Abende entworfen, in denen unsere Filme sich ebenso begegnen wie unsere Gäste. Abende, an denen unsere Filme aus filmkritischen Perspektiven befragt werden können, und dieses Jahr erstmals auch aus historischen Perspektiven. Neben unseren regulären Programmen und Debatten zeigen wir dieses Jahr drei Specials, die unsere Diskussionen vertiefen sollen. Unter anderem den neuen Film von Dominik Graf, den wir nicht deshalb zeigen, weil ihn die Berlinale nicht spielt – sondern weil der Film ein aufregendes Beispiel für den fürsorglichen und achtsamen Umgang mit politischen Begriffen und politischer Geschichte darstellt. Wir spielen dieses Jahr mehr Filme als in den Vorjahren. Nicht um Filme anzuhäufen, sondern um auch bei den hitzigsten Debatten den Weitblick nicht zu verlieren und handlungsfähig zu bleiben.
In diesem Sinne möchten wir Sie herzlich zur Woche der Kritik einladen: zu gemeinsamen Tagen voller fürsorglicher Auseinandersetzungen und lustvollen Streits – im Kino, mit dem Kino und durch das Kino mit der Welt.
Wir wünschen gute Diskussionen – Raum für Fragen gibt’s dann am Ende!
Amos Borchert, Dennis Vetter, Elena Friedrich, Petra Palmer