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Blog #8/19 - Herstellung von Situationen

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Blog #8/19 - Herstellung von Situationen

Blog #8/19 - Herstellung von Situationen

von Katrin Eissing

Die schicke Brünette arbeitet erst und schlendert dann durch die Caribbean Night der Speed-Disco voller heißer Typen. Sie fühlt sich lieber gleich für das Sperma auf dem Geschenkkorb verantwortlich, der auf dem verregneten Parkplatz zwischen glitzernden Protzschleudern hilflos wie ein junges Reh stehen gelassen wurde.

Unsere Hauptperson: so bodenlos sexy und nett ist sie, ein hübsches Wesen auch und allen gegenüber offen. „… unsere Verzierung ist mir sehr wichtig. Bitte schicke dein Geburtsdatum zur Bank of Kanada, und dann gewinne mit mir zusammen Trillionen.“

Als der blasse Feminist, früher mal ein Superboybaby der Spitzenklasse, eine Art Messer in den Uterus des Stars sticht, also „der Hauptperson“, wäscht der das Blut am Wasserfall umgehend weg, und der Feminist/Superboy ertrinkt darin, also im Wasser, nicht im Blut? Ich fand das ein ziemlich geniales Ende: Gretchen, anstatt ihr Kind zu ertränken, ersticht lieber Faust. Vielleicht war ich aber noch bei Terminator 2, wo ja Sohn und Vater eins sind, vielmehr dauernd die Positionen tauschen, und der so gut zum Ambiente passte, dass er wahrscheinlich, während vorn die Wahl zur Miss Superblond im Film Pretty Girls Don’t Lie stattfindet, in der Küche hinter der Bühne gerade lief. Im Gespräch sagt die Regisseurin Jovana Reisinger, es gehe um die Geschichten, die gerade nicht im Film sind. Männer pendeln darin, wie wirklich in jeder Bar, in die frau allein geht, zwischen Frauenbeschimpfung und Angeberunderstatement wild herum. Es kann deshalb schon sein, dass Frauen die hergestellten Situationen im Reisingers Film als realistischer empfinden. Die Regisseurin trug bei der auf die Filme folgenden Diskussion Ohrringe aus Perlen in Form von und Planetenbahnen gefertigt.

Whit Stillman © Manuel Schäfer
Whit Stillman © Manuel Schäfer

Erst kam aber Aren’t You Happy? (Das melancholische Mädchen). Auch der Analytiker in der ungefähr 14. Episode der Ereigniskette dieses Filmes zeichnet, während er irgendein „professionelles Geschwafel“ der Hauptperson auf sich niederregnen lässt, heimlich an so einer Art Planetensystem, vielleicht eine Wegbeschreibung für Schamanen.

„Wieso kommen Sie überhaupt her?“, fragt er.

Vor dem Trailer von Pretty Girls Don’t Lie, den ich mir grad nochmal auf YouTube ansehen wollte, läuft: Mein Wochenbett, mit Windelwerbung und einem angeekeltem Gesicht präsentiert, direkt nachdem im chinesischen Zirkus bunte Menschen fliegen.

Die Oberfläche wird zum Panzer, der glitzert und lässt keine Verletzung zu.

Ein Film, ein Kunstwerk, von Menschen geschaffen, das von Bedeutung für andere wäre, was ist das? Transzendenz? Oder hier in dieser elend durch-traumatisierten Gesellschaft: eine Wunde? Dieser Film ist ein Versuch, unverwundbar zu werden oder zu sein? Jedenfalls kein Ausruf, kein Zeichen, sondern eher soll dies ein „Sittengemälde“ sein (später im Gespräch gibt es viele deutsche Worte, unübersetzbar am Schluss angefügt).

Dass meine Seele, um diesen Begriff mal aus gegebenen Anlass wieder einzuführen, unerreicht blieb, hat weder mit Narrativ Ja/Nein noch mit Farben oder Verfremdungseffekt zu tun. Vielleicht mit Mitgefühl?

Ein Scheitern des Feminismus würde ich die Totalkonsumierung der Frauenbilder und deren Verfügbarkeit zwar nicht nennen, aber toll, wie glatt und perlig das daherkommt. Sehr schön fand ich die Tanz-, Gesangs- und Animationsfilmteile. Einlagen zu sagen wäre falsch.

Jovana Reisinger © Manuel Schäfer
Jovana Reisinger © Manuel Schäfer

Okay, aber wenn ich dem Anspruch folge, gesellschaftsrelevant zu wirken … Wo sind „die Leute“? Wo ist das Volk? Wo ist der Grundwiderspruch? Dauernd langweilt sich the main character. Ich finde das zwar lustig, aber unverständlich. Vielleicht auch eine persönliche Frage. Die Ritterin auf dem Einhorn nützt da nichts. Ja, nun gut, der Verfremdungseffekt hat wohl funktioniert, ich bin ziemlich angepisst und werde jetzt selber ein neues Wort für Feminismus suchen … Durch all das Nichts begreift das melancholische Mädchen später eben doch etwas. Nämlich, dass sie in diesem Scheißsystem aus Gründen traurig ist, und am Schluss taucht eine Idee wie in Aus dem Leben eines Taugenichts auf. Auch so eine Reise und Episodenwelt, in der mensch jederzeit singen kann, allerdings im Wald. Beim Mädchen sind die Natur so Popfarben, und hier gibt es eine hinreißende Bigband. Die Wanderin wandert und wandert. Wenn das Pixelbild zerfällt, gibt es noch eine andere Welt zum Weiterwandern. Der Film hört auf. Das ist vielleicht schon „die Verletzung“.

Deutsche Worte und englische aus dem Gespräch:

Kriegsmaschine
Aushängeschild
Verfremdungseffekt
Zirkusmusik
Zeitgeist
Porno?
Analog Dirt?