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Blog #7/18 - Ironie oder Anarchie?

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Blog #7/18 - Ironie oder Anarchie?

Blog #7/18 - Ironie oder Anarchie?

von Friederike Horstmann

Die Größe des Kinoposters zum Dokumentarfilm Searching For Oscar beträgt 100 x 70 cm. Überlebensgroß dominieren Close-ups eines älteren, eine braune Sonnenbrille tragenden Mannes nahezu die gesamte Fläche. Das Plakat zeigt ihn in Wiederholung: Ausschnitte einer gleichen Fotografie sind parataktisch aneinandergereiht, überlagern sich mehrfach, werden diaphan, Grenzen verschwimmen, die farbliche Skalierung alterniert zwischen blassem und rötlichem Inkarnat. Óscar ein medial marodierender Doppelgänger? Auf seiner Stirn (oder besser auf seinen Stirnen) ist ein weißer Schriftzug in Versalschrift appliziert: “Searching for Oscar”. Durch einen Hell-Dunkel-Kontrast heben sich die Namen von allerlei Gesellschaften am unteren Bildrand stärker ab als der Stab und der Darsteller oben. Noch hinter den grauen Ray-Ban-Gläsern stechen die großen, beinahe etwas glubschigen Augen hervor, der schmale, rechts leicht hängende Mund ist ernsthaft geschlossen, die grauen Haare und Brauen sind buschig zersauselt. In seiner Serialisierung und Vielfachbelichtung erzeugt das Kompositverfahren ein schillernd flimmerndes Bild, das den Blick destabilisiert, ihn streunen und zerfasern lässt. Schon auf dem formelhaft verdichteten Plakat, so könnte man behaupten, scheint es um Sehgewohnheiten jenseits etablierter Konventionen zu gehen, um Erkundungen und Befragungen von Grenzen und Rahmen(bedingungen).

Wo und wann endet Film und mit ihm seine Kritik? Gehören die den Film bewerbenden Plakate im Kinofoyer schon dazu? Was sind die Elemente, die nicht der Film selbst sind, aber irgendeine Art von Information geben? Wie kann sich eine Filmkritik auf diese beziehen? Óscar Peyrou ist Präsident der spanischen Filmkritikervereinigung und ein großartig idiosynkratischer Apologet einer paratexuellen Filmkritik. Während des Besuchs von Filmfestivals entwickelt er eine experimentell-anarchische Schreibmethode, bei der er Filme konsequent nicht anschaut. Stattdessen badet er im Jacuzzi, im Meer oder in der Sonne, kauft günstige Unterwäsche, geht essen, liegt (apathisch) im Bett seines Hotelzimmers, prokrastiniert. Ohne deren Betrachtung bewertet Peyrou Filme allein auf Grundlage von Plakaten: anhand der Farben, Texturen, Formen, des Sounds von Filmtiteln und der Namen von Schauspielern. Mit all diesen Elementen erstellt er eine Kritik. Verschmitzt widersetzt sich Peyrou so den Strukturierungen und Normierungen des internationalen Festivalbetriebes und dessen diversen Ökonomien.

Searching For Oscar läuft während der Woche der Kritik in einem Programm unter dem Titel “Ironie oder Anarchie”. In der anschließenden Debatte geht es viel um Peyrous selbstermächtigende Emanzipationsgesten jenseits von professionalisierten Routinen. Sehr treffend verweist die Filmkritikerin Alexandra Seibel auf die vielfach beschworene Verwandtschaft von Kino und Reisen. Die Analogie ist insofern aufschlussreich, als das Kino wie die Reise, Unvorhergesehenes mit sich bringen und die Sinne mobilisieren. Nur nutze Peyrou – so Seibel – die Einladungen zu Filmfestivals unter umgekehrten Vorzeichen, nicht um Filme zu schauen, sondern um die Welt zu bereisen. . Der Festspielkurator Giona Nazzaro mag die im Film dargestellten parallelen Räume und die damit einhergehende Entfremdung. Das Warten im Transitraum Flughafen ermögliche ihm Entschleunigung. Als zum Schluss aus dem Publikum ein wütender Ruf „Kill the critics“ kommt, fokussiert die Diskussion die Rolle des Filmkritikers. Alexandra Seibel verteidigt eine professionelle Filmkritik und betont die Notwendigkeit von filmischer Expertise anstelle eines kulturellen Allrounders. Nazzaro attestiert eine zu große Involvierung von Politik und Werbeindustrie.

© Jan Zappner
© Jan Zappner

Der Regisseur von Searching For Oscar, Octavio Guerra, formuliert seinen Wunsch, neue Wahrnehmungsräume bei den Zuschauer*innen zu eröffnen. Tatsächlich arbeiten der Film und seine eskapistische Entzugsfigur an der Neujustierung von Aufmerksamkeitsökonomien bei Festivalbesuchen; die Acht-Uhr-Section beim Filmfestival in Cannes sieht Peyrou vorsätzlich im halbwachen Zustand: „Ich versuche nicht ganz aufzuwachen, da die erste Sektion um acht Uhr beginnt und es sehr nett ist, im Halbschlaf zu sein, wenn der Film anfängt und ihn aus einem schläfrigen Blickwinkel zu betrachten. Dieser dösige Dämmerzustand macht den Film weicher. Wenn der Film schlecht ist, scheint er nicht so schlecht. Wenn der Film gut ist, scheint er nicht so gut. Eine komfortable Mediokrität.“

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