Come in! The Gates are open! … Says who?
Come in! The Gates are open! … Says who?
von SHH
Die Seniora Patrizia ist gestorben. Sie hat dabei ihr Leben, nicht aber ihre Macht verloren. Ihre philippinische Haushälterin Rosa (Jenny Llanto Caringal) erbt Villa, Garten und sämtlichen Besitz. Jedoch musste Rosa versprechen, das Vermögen gut zu pflegen. Die fromme Rosa kommt dem nach. Ein Verkauf und die Rückkehr auf die Philippinen sind ausgeschlossen. Somit lebt Rosa in dem am Rande Roms liegenden Anwesen von nun an zwar als Eigentümerin, verbringt ihre Tage jedoch unverändert Ordnung schaffend, Flure kehrend und Treppen wischend.
Eine Szene zu Anfang von Liryc Dela Cruz’ Spielfimdebüt Come la Notte nimmt sich Zeit, um dieses paradoxe Leben fassbar zu machen. In Echtzeit sieht man zu, wie Rosa die alte Steintreppe der Villa wischt und sich dabei Stufe für Stufe von oben nach unten abarbeitet. In dieser rohen Sachlichkeit kommt eine feine Symbolik zum Vorschein: Das Erbe verschafft Rosa zwar oberflächlich einen sozialen Aufstieg, aber das Ausbeutungsverhältnis zwischen Herrin und Haushälterin verstärkt sich nach dem Tod der Seniora Patrizia sogar, was – passend zur Richtung des Treppenwischens – eher einem Abstieg gleichkommt. Die Ausbeutung findet nun auf einer perfideren Ebene statt, auf der Rosa treu für einen Geist arbeitet.
In ihrer Frömmigkeit hat Rosa die Moral der Seniora angenommen, die sich mit einem dreisten Trick aus ihrer Schuld als Ausbeuterin befreit und Rosa zu ihrem Schuldiger macht. Ein Trick, der vielfach von den modernen Patriziern gespielt wird, wenn sie mit ihrer Moral die Welt verdrehen. Man denke nur an die Frechheit der Bezeichnungen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ – Wer gibt in Wahrheit seine Arbeit wem? Wer nimmt in Wahrheit die Arbeit von wem?
Rosa übernimmt aber nicht nur unkritisch die bürgerliche Moral ihrer Herrin, sondern propagiert sie zudem nach außen. Das wird deutlich, als ihre Geschwister Lillia (Tess Magallanes) und Manny (Benjamin Vasquez Barcellano Jr.) in die Villa zu Besuch kommen und durch ihre Gespräche ihre ganze arbeitsmigrantische Familienbiografie zum Vorschein kommt. Vor Jahren hatte Rosa die jüngeren Geschwister aus den Philippinen nach Europa geholt, mit dem Versprechen, dort der Armut zu entkommen. Rosas Begrüßung der beiden klingt ein weiteres Mal wie ein Versprechen auf eine bessere Zukunft: „Come in! The gates are open!“
Dass es sich abermals um ein leeres, weil von den Herrschenden übernommenes, Versprechen handelt, nimmt der Film vorweg: Obwohl die Kamera die Szene in einer Totale zeigt, wirkt das Bild einengend – zu beiden Seiten blockieren die dunklen Wände den Blick, sodass von der formal weiten Einstellung nur noch ein beklemmender Bildausschnitt übrigbleibt. Wie schon bei der Treppenszene setzt der in schwarz-weiß gehaltene Come la notte seine filmischen Mittel sparsam, aber wirkungsvoll ein. Die Ambivalenzen und komplexen Konflikte der Charaktere werden erst durch sie begreiflich.
Die Erzählung hingegen macht einen klaren Punkt. Rosas Weitergabe der falschen Versprechen und der unterdrückerischen Moral der Patrizia_er an ihre Geschwister, treibt diese gegen sie auf. Die Geschwister sehen in ihr bald die Schuldige für ihr Leiden. Ein Mangel an Bewusstsein und Solidarität unter den Arbeitsmigrant*innen führt schließlich zu fehlgeleiteter Aggression und Manny tötet seine eigene Schwester. Der Schluss dieses durch und durch starken Films bleibt für mich eine Warnung: Wer die Kette der Ausbeutung nicht bis zum Anfang nachverfolgt und die Profiteure der eigenen misslichen Lage verkennt, bekämpft am Ende die ebenfalls Geschädigten – die eigenen Leute, die eigene Familie.