Die Wege sind noch lang
Die Wege sind noch lang
von Nalie Schweizer
Am dritten Tag der Berlinale erinnere ich mich, dass in einer Woche Neuwahlen anstehen. Ich sitze in meiner ersten Vorstellung des Tages, die vierte der Woche. Es ist 9 Uhr 20. Hinter mir erzählt jemand ihrer Sitznachbarin, der Kaffee sei gut. Und die Pinakothek in München ganz hervorragend, meint eine andere Person zu ihrer Nachbarin.
Berlinale. Statt Nachrichten verfolge ich jetzt regelmäßig Filmkritiken und Synopsen. Ich laufe von Film zu Film, Kino zu Kino, U-Bahn zu S-Bahn zu Bus zu S-Bahn. Die Luft ist kalt und trocken. Auf der Straße liegt Schnee, der mittlerweile zu einer rutschigen, grauen Masse zerdrückt wurde.
Es war wohl nicht geplant, dass die Berlinale an einem Wahltag endet, doch liegt die Neuwahl auf dem letzten Tag des Festivals. Das wird auf die Wahlergebnisse vermutlich keinen Einfluss haben, aber eine Ablenkung ist es nun doch. Wenn nicht gerade die nächsten Vorstellungen geplant und geklickt werden, denke ich nach, worüber ich schreiben sollte. Eine Filmkritik schreiben – etwas, das ich zuvor noch nie gemacht habe. Die Frage warum schreiben schiebt sich nun krampfhaft vor die Frage was schreiben. Als hätte ich vergessen, weshalb ich hier bin, sowie ich fast ausblenden konnte, dass die Neuwahl unmittelbar bevorsteht.
Licht aus. Film an. Schwarz-Weiß-Aufnahmen.
„I´m here because I want to see what other women, other women filmmakers are doing. I´m here because I´m a feminist“, antwortet eine Journalistin 1973 der norwegischen Filmemacherin Vibeke Løkkeberg bei einem Interview vor dem alten Kino Arsenal in Berlin. Sie besucht das Erste Internationale Frauenfilm-Seminar, eines der ersten feministischen Filmfestivals überhaupt. „I like films that don’t show women as victims but women as strong and who can act”, fährt sie fort.
Løkkeberg führte ähnliche Interviews mit weiteren Frauen und dokumentierte das Seminar auf 16mm. Zunächst verschollen, wurden die Aufnahmen nach knapp 50 Jahren wiedergefunden und bilden nun das Material für Løkkebergs neuen Film The Long Road to the Director´s Chair, der seine Premiere auf der Berlinale feierte. Die Frauen im Film sprechen über die Schwierigkeiten in der männerdominierten Filmbranche. Sie erzählen von Diskriminierungserfahrungen und von den schlechten Arbeitskonditionen. Sie erzählen von ihrem Widerstand, von den Erfolgen und von der doppelten Unfreiheit. Die Unfreiheit, für den beruflichen Erfolg sich den patriarchalen Strukturen unterwerfen zu müssen. Und wie die persönliche Freiheit wiederum mit eingeschränkten Produktions- und somit Entscheidungsmöglichkeiten einhergeht. „The film quality reflects the production conditions“, sagt eine der Frauen vor der Kamera.
Knapp 50 Jahre nach dem Seminar hat sich der feministische Diskurs vehement erweitert, doch büßen die Diskussionen (leider) nicht an Aktualität ein. Noch immer ist die Filmbranche stark von Männern dominiert – das gilt vor allem für die höheren Positionen. Frauen sind weiterhin schlechter bezahlt als Männer und die Arbeitskonditionen in der Filmbranche hart, was das Konkurrenzdenken umso mehr verschärft.
Als in der Gesprächsrunde die Filmemacherin gefragt wird: „What took you so long to edit it?“, antwortet Løkkeberg knapp: „the money“. Während für Blockbuster Summen in sechs- bis neunstelliger Höhe verausgabt werden, mangelt es für andere kleinere Projekte an Fördergeldern, die unter der aktuellen Politik vielerorts zusätzlich gestrichen wurden und weiter zu verknappen drohen.
Die Berlinale und ihr Gewusel verzerrt schnell die eigene Realität und bringt eine andere, ganz eigenartige Wahrnehmung von Realität hervor, die sich zwischen „Stars“ und „großen Filmen“, roter Teppich, Paparazzi und Presselounge bewegt. Løkkebergs Film ist dagegen nicht nur ein wichtiges Zeitdokument, sondern ruft vor allem in Erinnerung, welche Bedeutung das Filmemachen und Filmezeigen haben kann.
Filme zeigen diejenigen, die sie produzieren und die sie darstellen. Implizit jedoch auch diejenigen, die nicht dargestellt werden und kaum die Möglichkeit haben, durch das teure Medium Film zu erzählen. Und was auf der Bildfläche erscheinen darf, ist ebenso nicht einfach gegeben, sondern strukturell bedingt: Wer bekommt die Möglichkeit zu entscheiden, welche Filme mit welcher Intention ausgestrahlt werden? Während es für manche einfacher ist, die eigene Stimme an die Öffentlichkeit zu tragen – sei es durch das „richtige“ soziale Kapital oder den schon vorhandenen Ruhm – ist es für andere schwierig, überhaupt Produzent*innen für ihre Filme zu finden.
Weil die Filmbranche, wie viele andere Branchen auch, von Ungleichheit durchzogen ist, kann Filmemachen bedeuten, bewusst Widerstand zu leisten. Widerstand gegen jene Strukturen, die manchen das Filmemachen so erleichtern und es anderen dermaßen erschweren.
Der Weg des Widerstands hört nicht beim bloßen Film auf.