Menü

(German) Angst oder: Nothing really matters to me

(German) Angst oder: Nothing really matters to me

(German) Angst oder: Nothing really matters to me

von Kornelia Kugler

Tim Engels (Lars Eidinger), seine Frau Milena (Nicolette Krebitz) und ihre pubertären Zwillinge leben in einer geräumigen Altbauwohnung in Berlin nebeneinanderher. Als trendjagender Werber mit progressiven Ansichten hilft er Konzernen beim Greenwashing, sie kämpft mit einem zum Scheitern verurteilten Kunst-Entwicklungshilfeprojekt in Kenia. Beide Eltern sind mit ihren Jobs beschäftigt, die Kinder mit Party machen und Computer spielen.

Kein Wunder, dass sie erst gar nicht bemerken, dass ihre polnische Haushälterin schon seit gestern tot am Küchenboden liegt. Zum Glück findet sich schnell ein Ersatz: Die geheimnisvolle Ärztin Farrah (Tala Al-Deen), die aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, kommt mit einer Mission in die Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs. Farrah, von ihrer Flucht über das Mittelmeer gezeichnet, besitzt eine magische Lampe, deren stroboskopartiges Flackern als Portal in andere Dimensionen dient. Sie weiht die Engels in ihre experimentelle Behandlungsmethode ein und so kommt eine Familie in mystische Übereinstimmung mit der anderen. Bis alle verlorenen Seelen sich vernetzen und heilen können, muss Tom Tykwers Das Licht in 162 Minuten jede Menge Stationen von Musical bis Männertherapie quer durch den Dauerregen (und die Dauerberieselung) abklappern.

Auf die Frage, ob Das Licht nicht nur einen kleinen Ausschnitt der Berliner Gesellschaft zeige, nämlich die privilegierte Welt der oberen Mittelschicht, entgegnete Hauptdarsteller Lars Eidinger auf der Berlinale Pressekonferenz: „Ich denke, je persönlicher ein Film ist, desto universeller wird er. Die Überschrift dieses Films lautet: Wir (die privilegierten Wohlhabenden) sind das Problem. Er ergänzt, wie wichtig es sei, mit den eigenen Widersprüchen leben zu lernen und Frieden mit ihnen zu schließen. In einem Interview zum Film in der Zeit sagt Regisseur Tom Tykwer: „Ich habe mich noch nie so verunsichert gefühlt wie heute. So viele Dinge, die ich als sicher eingeschätzt habe, sind unsicher geworden.“ Das Licht ist die bürgerlich-regressive Antwort auf diese Verunsicherung, eine filmgewordene Lichterkette, der Versuch einer Selbstkritik, der am Ende doch nur in Selbstbestätigung mündet.

So will die Familie Engels, anders als ihr Namensvetter Friedrich, ihre Klasse nicht verraten, sondern einfach nur wieder mehr miteinander sprechen. Oder Sex haben. Oder sich selbst finden. Und wer kann es ihnen verdenken? Was sind schon ein paar Tote im Mittelmeer oder auf den Straßen Berlins gegenüber dem eigenen Seelenheil in einer kaputten Welt. Denn: So dysfunktional die Familie Engels auch ist, bewahrt werden muss die kleinste Einheit der Gesellschaft in Das Licht um jeden Preis. Die Urangst, die die Engels-Eltern erfasst, als ihr Lebensentwurf mehr und mehr ins Wanken gerät, kann, wie es scheint, nur so besänftigt werden. Mit Margaret Thatcher scheint uns Tom Tykwer entgegenzurufen: Society? There is no such thing! Und die (Un-)Toten des Mittelmeers, Farrahs Angehörige nämlich, können nach erfolgreicher Familienaufstellungsséance auch endlich Frieden finden und ins Jenseits überführt werden.

Eine ähnliche Prämisse hat Kontinental 25 von Radu Jude, der im Wettbewerb der 75. Berlinale seine Weltpremiere hatte. Auch dieser Film verhandelt das Dilemma derjenigen, die auf der Gewinner*innenseite der Klassengesellschaft stehen: Die kognitive Dissonanz, die das Mitansehen der Gewalt der Verhältnisse auslöst, die Frage, ob „wir“ eine Mitschuld am Tod derjenigen tragen, die von Grenz- und Armutsregimen umgebracht werden. Im Gegensatz zu Das Licht nimmt Kontinental 25 diese Fragen ernster als sich selbst.

Die Tragikomödie setzt sich mit der Immobilienkrise, aber auch mit Rassismus und Nationalismus im post-sozialistischen Rumänien auseinander. Lose angelehnt an Europa 51 von Roberto Rossellini, zeigt Kontinental 25 den verzweifelte Versuch von Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa), ihre Mitschuld an dem tragischen Suizid von Ion (Gabriel Spahiu) zu verstehen und Vergebung zu finden.
Ion, Alkoholiker und ehemaliger Leistungssportler, streunt durch Cluj, die zweitgrößte Stadt Rumäniens und ehemals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Er schläft im Keller eines Gebäudes, das abgerissen werden soll, um für den Bau eines Luxushotels einer österreichischen Immobiliengesellschaft namens K.u.K. Platz zu machen. Als Gerichtsvollzieherin ist Orsolya für die Räumung verantwortlich. Nachdem sie Ion bereits mehrfach verwarnt hat, ist nun endgültig Schluss. Orsolya verspricht Ion, ihm einen Platz in einer Notunterkunft zu finden, wenn er sich zum Gehen bereit erklärt. „Man muss die Leute nett behandeln, sagt sie zu den anwesenden Gendarmen, nachdem sie Ion 20 Minuten Zeit gewährt hat, um seine Sachen zu packen.

In diesem unbeobachteten Moment begeht Ion Selbstmord, indem er sich an einem Heizkörper des Kellers erhängt. Die erschütterte Orsolya gerät daraufhin in eine handfeste Identitätskrise. Neurotisch erzählt sie wieder und wieder in tränenreichen Details, was passiert ist, und fragt Freund*innen, Kolleg*innen und sogar einen Priester um Rat, was sie nun tun soll. Weniger satirisch als offen verzweifelt, zeichnet Radu Jude ein düsteres Bild struktureller Ungleichheit, die durch individuelles Handeln nicht gemildert werden kann. Orsolyas (un-)moralisches Ringen um einen Umgang mit der Situation soll das zeitgenössische gesellschaftliche Unbehagen mit den Zumutungen eines Lebens in der Mittelschicht widerspiegeln.

Das gelingt dem mit äußerst bescheidenen Mitteln und Handykamera realisierten Kontinental 25 um einiges besser als Das Licht (bei der oben genannten Pressekonferenz beschwert sich Tom Tykwer darüber, dass es in Deutschland nicht genug Geld gibt für richtig „juicy“ Filme gibt). Anfang 2025, während Sozialleistungen an allen Ecken eingespart werden und darüber diskutiert wird, wie endlich wieder mehr abgeschoben werden kann, hinterlässt Tykwers filmischer Versuch, die Dissonanzen schnell wieder in Einklang zu bringen, einen mehr als schalen Nachgeschmack, sein Sitten- und Zeitbild ist so selbstbezogen wie überholt. „Kontinental 25 bleibt dagegen offen: Der Film endet mit Aufnahmen von Gebäuden in Cluj – wie viele der Wohnungen wohl leer stehen?