Prekäre Subjekte – Prekarisierte Arbeit: Pflege im Fokus der Berlinale
Prekäre Subjekte – Prekarisierte Arbeit: Pflege im Fokus der Berlinale
von Michael Jochem
Pflegearbeit bildet das Rückgrat unserer Gesellschaft, indem sie die Gesundheit und das Wohlbefinden von uns allen sichert. Dies ganz besonders in Ausnahmesituationen oder verletzlichen Lebensabschnitten, in denen das Leben selbst prekär wird. Oftmals sind es Pflegekräfte, die uns das erste und das letzte Mal im Leben berühren.
Dennoch ist dieser essenzielle Sektor durch ökonomische Zwänge und soziale Ungleichheiten belastet. Insbesondere die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens und der wirtschaftliche Druck auf Pflegeeinrichtungen führen zu prekarisierten Arbeitsverhältnissen, in denen Zeitmangel, eine hohe Arbeitsbelastung, schlechte Bezahlung und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung allgegenwärtig sind. Die Arbeitsrealität von Pflegekräften ist dabei stark durch Klassenunterschiede geprägt: Viele Beschäftigte stammen aus benachteiligten Schichten oder es handelt sich um migrantische Arbeitskräfte, die oftmals zu schlechten Bedingungen arbeiten. Der Begriff „Pflegenotstand“ beschreibt nicht nur den Personalmangel, sondern verweist auf ein strukturelles Problem, das scheinbar auf Dauer gestellt und tief in unserer Gesellschaft verankert ist.
In diesem Kontext beleuchten die Filme Heldin von Petra Volpe, Palliativstation von Philipp Döring und Home Sweet Home von Frelle Petersen das Thema Pflege aus unterschiedlichen Perspektiven. Durch ihre variierenden filmischen Ansätze bieten sie Einblicke in die Herausforderungen der Pflegearbeit und reflektieren die sozialen und ökonomischen Bedingungen, unter denen diese stattfindet.
Heldin ist ein stark stilisierter Spielfilm mit dramatischen Musikeinsätzen und einer dynamischen Kameraführung. Die Geschichte dreht sich um eine Pflegekraft im Krankenhaus, die sich sowohl gegen institutionelle Missstände als auch gegen persönliche Herausforderungen behaupten muss. Pflege wird dabei als emotional fordernde Arbeit inszeniert, aber auch als fast mythische Berufung überhöht und somit fast heroisiert. Die dramatischen Lichtsetzungen und choreografierten Szenen unterstreichen die inneren Konflikte der Hauptfigur.
Allerdings bleibt die strukturelle Analyse der Pflegekrise im Film oberflächlich. Indem die Erschwernisse der Pflegekräfte vorrangig als individuelle Herausforderungen dargestellt werden, rückt die soziale und ökonomische Dimension in den Hintergrund. Damit läuft der Film Gefahr, den systemischen Charakter des Pflegenotstands zugunsten einer emotionalisierten Einzelgeschichte zu vernachlässigen.
Palliativstation ist hingegen eine rein beobachtende Fly-on-the-Wall-Dokumentation, die ohne Kommentar oder musikalische Untermalung auskommt, wodurch eine unmittelbare und authentisch unverstellte Atmosphäre entsteht. Döring begleitet in seinem Film die Abläufe auf der Palliativstation des Franziskus-Krankenhauses in Berlin. Hierzu hat er über 100 Stunden Material gefilmt und sich für eine offene Erzählstruktur ohne klaren Zirkelschluss entschieden. Diese fragmentarische, aber zugleich dichte Darstellung betont die Alltäglichkeit sowie zugleich die Einzigartigkeit des Sterbens und gibt Raum, eigene Gedanken und Emotionen zum Thema zu entwickeln.
Die Kamera folgt dabei verschiedenen Modi: Sie kann nah am Bett der Protagonist*innen sein und diese in Nahaufnahmen ins Bild setzen oder auch distanziert durch eine geöffnete Tür filmen. In der Nähe wie in der Distanz wahrt der Film immer einen respektvollen Umgang mit den Protagonist*innen in ihren prekären Situationen und macht dabei gleichzeitig seine Anteilnahme an der Situation förmlich spürbar. Auch durch die präzise eingefangenen Persönlichkeiten der Patient*innen gewinnt der Film seinem existenziellen Thema einiges an Leichtigkeit ab, bebildert dadurch die Leitidee von Cicely Saunders, der Begründerin der modernen Hospizbewegung: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.”
Der Film rückt die Palliativpflege in den Mittelpunkt und macht die Herausforderungen des Klinikalltags sichtbar: Personalmangel, emotionale Belastung und die Konfrontation mit dem Tod als ständiger Begleiter. Besonders eindrücklich ist die Interaktion zwischen Pflegekräften und Patient*innen, die zeigt, wie verschiedenste Akteur*innen innerhalb der Station miteinander agieren. Dabei liegt der Fokus nicht einzig auf dem medizinischen Personal, sondern auch auf den stillen, oft unsichtbaren Arbeitskräften, die das Funktionieren des Systems erst möglich machen. Ohne voyeuristisch zu werden, dokumentiert der Film den Sterbeprozess mit einer ungeschönten Offenheit und stellt die Frage danach, wie unsere Gesellschaft mit dem Tod umgeht.
Home Sweet Home konzentriert sich im Gegensatz zu Heldin und Palliativstation, die die Pflege in einem stationären Setting zeigen, auf die ambulante Pflege in privaten Räumen und innerhalb sozialer Netzwerke. Dieser Film zeichnet sich durch eine intime, realistische Darstellung aus, indem er mit Laiendarsteller*innen arbeitet, auf Musik verzichtet und vor allem den privaten Raum ins Zentrum rückt. Die ruhige Kameraarbeit und die Reduktion auf Alltagsgeräusche schaffen eine unaufdringliche, aber eindringliche Atmosphäre.
Die Geschichte des Films folgt einer Pflegekraft und getrennt erziehender Mutter in einer dänischen Kleinstadt, vom Berufseinstieg bis zum Burn-out durch die Überbelastung durch Erwerbs- und Erziehungsarbeit. Die Pflegearbeit wird hier stärker noch als in den beiden anderen Filmen auf ihre Ambivalenz zwischen professionellem und sozialem Handeln hin untersucht, dabei hebt der Film die emotionale Tiefe und die ethische Verantwortung hervor, die professionelle Pflege innerhalb von Familien und Gemeinschaften bedeutet.
Petersen legt ein besonderes Augenmerk auf die Konfliktlinie, die sich zwischen dem ökonomischen Druck, der sich in der Organisation der Arbeitsabläufe äußert, und dem engagierten sozialen Handeln, das sich nur schwer in Zeitkontingente fassen lässt, abzeichnet. Dabei kann er zeigen, dass strukturelle Probleme des Gesundheitswesens sich auf individueller Ebene in die Körper der Pflegekräfte einschreiben, sie emotional verschleißen und sie krank machen.
Die filmische Gestaltung dieser drei Filme beeinflusst maßgeblich, wie Pflege als soziale Realität inszeniert wird und ob sie es vermögen, dass sich mehr Menschen für die politischen Anliegen der Pflegekräfte einsetzen. Während Heldin durch die dramatische Inszenierung die Pflegekräfte als heroische Figuren stilisiert und Pflege als individuelle Herausforderung und moralischen Kampf darstellt; setzen Palliativstation und Home Sweet Home auf Zurückhaltung und Realismus, um die unsichtbaren Aspekte der Pflegearbeit sichtbar zu machen: die Überlastung des Personals, die unzureichenden Ressourcen und die oft übersehene Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen in der Pflege. Besonders Palliativstation macht die systemische Natur des Problems deutlich, indem er zeigt, wie sehr Pflegekräfte und Patient*innen gleichermaßen unter den gegebenen Bedingungen leiden. Ohne in Mutlosigkeit zu verfallen, weckt er ein sympathisches Verständnis für die Situation der Angestellten ebenso wie der Patient*innen der von ihm dokumentierten Station.
So demonstrieren diese drei Filme nachdrücklich, wie sich filmische Form nicht nur auf die Erzählweise, sondern auch auf die politische Lesbarkeit eines Themas und die Sichtbarmachung sozialer und ökonomische Zusammenhänger auswirkt – insbesondere wenn es um eine so zentrale gesellschaftliche Frage wie die Pflege geht.