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Where the Night Stands Still: Wessen Monster? Wessen Gewalt?

Where the Night Stands Still: Wessen Monster? Wessen Gewalt?

Where the Night Stands Still: Wessen Monster? Wessen Gewalt?

von Michael Jochem


Liryc Dela Cruz
Film Come la notte (Where the Night Stands Still im internationalen Titel) untersucht eindringlich das Verhältnis von Migration, sozialer Klasse und den subtilen Dynamiken von Macht und Besitz. Im Mittelpunkt stehen drei philippinische Geschwister, die seit vielen Jahren als Hausangestellte in Italien arbeiten und nach dem überraschenden Erbe einer Villa durch die älteste Schwester Lilia in ebendieser Villa zusammenkommen. Das Wiedersehen entfaltet sich an der Schnittstelle alter Erinnerungen, unausgesprochener Spannungen und den Mechanismen sozialer Reproduktion.

Der Film ist koproduziert von dem Kollektiv Il mio Filippino, dessen Mitglieder darunter sowohl der Regisseur Liryc Dela Cruz als auch die Darsteller*innen sich vor dem Hintergrund eines rassifizierten Kapitalismus kritisch mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der philippinischen Diaspora in Italien auseinandersetzen. Die Darsteller*innen verkörpern nicht nur ihre Rollen, sondern bringen ihre eigenen Erfahrungen als Arbeitsmigrant*innen und Hausangestellte in den Film ein, wodurch die Grenzen zwischen Inszenierung und gelebter Realität verschwimmen.

Die Gewalt der Übergangszeit Strukturelle Sackgassen und die Zeit der Monster

Come la notte nimmt dabei jene instabilen Übergangszeiten in den Blick, in denen sich alte Ordnungen auflösen, ohne dass neue bereits etabliert sind; in denen wir wie paralysiert auf die monströsen Formen von Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat und ihre langen Schatten starren. Die Figur des Bruders, die vom Schauspieler selbst als Monster“ bezeichnet wird, bildet hierfür einen zentralen Ausgangspunkt, denn seine Beschreibung sst sich im Lichte Antonio Gramscis berühmtem Diktum von der Zeit der Monster“ fassen: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“ Der Film erzählt von einem solchen Zustand sozialer Lähmung, von Existenzen, die weder in ihrer Heimat noch in ihrem Zielland vollständig verankert sind und für die der versprochene soziale Aufstieg ein trügerisches Versprechen bleibt. Die Gewalt, die sich am Ende der Erzählung entlädt, verweist auf eine unterdrückte und perspektivlose Wut, die sich nicht gegen die Verhältnisse, sondern gegen die unmittelbare Umgebung richtet ein Kernaspekt von Gramscis Übergangszeit, in der die gesellschaftlichen Widersprüche nicht aufgelöst, sondern in deformierten Formen fortbestehen.

Der Bruder im Film arbeitet als Hausangestellter in Italien, genau wie sein Darsteller im realen Leben. Er lebt und arbeitet unter Bedingungen, die ihn in eine strukturelle Abhängigkeit zwingen, während ihm gleichzeitig das Bild eines sozialen Aufstiegs suggeriert wird. Durch das Erbe seiner Schwester schwelgt er in Fantasien von Besitz und Reichtum, und ihr Unwille, die Villa zu verkaufen, verursacht ihm psychische Qualen. Die geerbte Villa ist ein trügerisches Objekt in dieser Konstellation: Sie stellt nicht lediglich eine materielle Veränderung dar, sondern verweist auf die Bedingungen, unter denen sozialer Aufstieg innerhalb kapitalistischer Strukturen für ihn überhaupt erst denkbar wird. In einer Zeit, in der bestehende Machtstrukturen sich in prekären Arbeitsverhältnissen fortsetzen, ohne dass auf breiter Basis Gegenmodelle erkennbar wären, kann sich der gesamtgesellschaftliche Druck nicht progressiv auflösen. Stattdessen entlädt er sich auf destruktive Weise sei es durch soziale Isolation, psychischen Zerfall oder, wie im Film, durch tödliche Gewalt innerhalb der Familie.

Die Inszenierung dieser Gewalt ist bezeichnend: Sie wird nicht spektakulär oder kathartisch dargestellt, sondern bleibt eingebettet in die gleichmäßige, statische Kameraarbeit des Films. Diese Form der Inszenierung verweigert eine Befreiung oder eine überzeichnete moralische Wertung des Aktes. Vielmehr verweist sie darauf, dass die Gewalt nicht außerhalb der sozialen Realität steht, sondern Produkt einer strukturellen Sackgasse ist, die die Figuren in ihrer Bewegungslosigkeit halten. Der Bruder ist nicht das Monster, weil er individuell böse wäre – er ist es, weil die Gesellschaft, in der er lebt, ihm keine andere Rolle zugesteht.

Der Film zeigt also nicht nur eine individuelle Geschichte, sondern ein strukturelles Problem: die Unmöglichkeit, sich innerhalb einer bestehenden Ordnung aus den Bedingungen der sozialen Reproduktion zu befreien. Die Figur des Bruders verdeutlicht die Konsequenzen einer Migration, die als ökonomische Notwendigkeit organisiert ist, aber in der Aufnahmegesellschaft nicht zu einer politischen oder gesellschaftlichen Gleichstellung führt. Die Gewalt gegen die Schwester steht stellvertretend für eine allgemeine Frustration über eine Welt, die keinen Ausweg aus der erzwungenen Unterordnung eröffnet.

Dela Cruz’ Film entwirft damit eine Welt, in der sich die Monster nicht aus sich selbst heraus gebären, sondern aus einer Zeit der Unsicherheit, des Übergangs und der unaufgelösten Widersprüche. Die Villa als trügerischer Besitz, die Migration als versperrter Aufstieg und die Familie als Ort latenter Konflikte sind Ausdruck einer Zeit, die geprägt ist von einer alten Ordnung, die nicht mehr trägt, und einer neuen, die noch nicht entwickelt ist.