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News, News 2022

Die ersten Filme und das neue Team der Woche der Kritik 2022

Träume in Funksprüchen und Radiowellen. Eine Filmkarikatur, die sich der Gegenwart verweigert. Fetisch als Fußnote der Filmgeschichte. Ein Protestspektakel aus Farben und Körpern. Und eine Kollaboration zwischen den Generationen. Die ersten Filme und die diesjährigen Gastkurator*innen der 8. Woche der Kritik stehen fest.

In ihrem Filmdebüt „The Dream and the Radio“ lassen Ana Tapia Rousiouk und Renaud Després-Larose Menschen mit Bildern und Klängen förmlich verschmelzen und verkörpern dabei selbst die Hauptrollen des Films. Das Leben ihrer Figuren wird durcheinandergebracht von einem unerwarteten Geldsegen und besonders von Raoul Debord, der es als selbsternannter Revolutionär auf die Radiostationen seiner Stadt abgesehen hat. Ein Film, der die Regeln des Kinos verlernt und neu erfindet, der mit jazziger Leichtfüßigkeit durch die Nächte driftet. Renaud Després-Larose sorgte in unserem Programm bereits zweimal mit seinen Bildern für Diskussionen: Als Kameramann arbeitete er schon mehrfach mit dem kanadischen Visionär Olivier Godin, dessen Filme „Waiting for April“ und „Dracula Sex Tape“ wir präsentierten und mit großem Vergnügen debattierten.

Hätte Venus Schuhe getragen, wären es Nikes gewesen? Der brasilianische Videokünstler André Antônio zelebriert in „Venus in Nykes“ die Lust an der Umdeutung, am queeren Kino, am Fetisch und vor allem an der ironischen Selbstbespiegelung. Das Resultat ist ein Spagat zwischen Filmperformance und Experimentalfilm, zwischen packender Montage und gleichermaßen Demontage der Kinogeschichte, immer mit dem Ziel der Auslotung von Identität zwischen fremd- und selbstbestimmten Bildern. Antônio zählt zu den wildesten jungen Stimmen des brasilianischen Kinos und kommentiert mit seinem Filmkollektiv surto & deslumbramento die Biederkeit und Normativität zahlreicher brasilianischer Independentfilme.

Die ehemalige französische Filmkritikerin Pascale Bodet nutzt in ihrer Filmkarikatur „Edouard and Charles“ die absurde Komödie als Vehikel zur Attacke auf die Kunst und die blinden Flecke der Geschichte. Inspiriert von der Beziehung zwischen Charles Baudelaire und Édouard Manet, versetzt sie Figuren und Ideen des Fin de Siècle in das Paris der Gegenwart und zeigt Kolonialismus, Rassismus, künstlerische Eitelkeit, zerbrechliche Freundschaften und die Oberflächlichkeit aktueller Kunstinstitutionen. Serge Bozon begleitet das Geschehen als Clown, der keiner ist. Bodets Film bricht Regeln und politische Codes, sie entwirft eine historische Fantasie und erprobt, wie viel Spannung das Gegenwartskino aushalten kann.

In den vergangenen zehn Jahren hat das Avantgarde-Kollektiv Los Ingrávidos aus Mexiko ausgehend von einem Manifest über 300 Filme gedreht, die sich der Ästhetik des mexikanischen Fernsehens und Mainstreamkinos entschieden entgegenstellen. In der internationalen Festivallandschaft konnten sie sich mit ihren Arbeiten fest etablieren. „Notes for Déjà Vu“ ist eine der neuesten Arbeiten der Gruppe und bringt Aufnahmen von Protestkundgebungen mit Worten von Jonas Mekas und dessen Fragen nach filmischer Erinnerung zusammen. Welche Übertragungen dabei stattfinden und was Nostalgie mit dem Politischen zu tun hat, verhandelt der kurze Experimentalfilm dabei ebenso wie die Frage, wie sich der dokumentarische Gestus der Bilder zur Freiheit des Experimentierens verhält. Das Kollektiv erforscht regelmäßig das Aufeinanderprallen von analogen Bildern mit digitalen Störungen.

Seit drei Jahren organisiert die Woche der Kritik Kollaborationen mit internationalen Akteur*innen des Kinogeschehens, zuletzt mit Vertreter*innen internationaler Filmfestivals. Dieses Jahr betonen wir vor dem Hintergrund der stockenden Filmkultur die Rolle von Regisseur*innen als Entscheidungsträger*innen, die die kommenden Schritte des Kinos durch ihre Visionen erst ermöglichen werden. Wir brechen mit dem Prinzip der Carte Blanche und haben Filmemacher*innen stattdessen eingeladen, Filmprogramme im Dialog zu gestalten und dann während der Woche der Kritik mit uns zu diskutieren. Ein erstes Programm erarbeiten wir im Dialog mit zwei Vertreter*innen des politischen Dokumentarfilms aus unterschiedlichen Generationen: Ute Adamczewski und Želimir Žilnik. Ute Adamczewski zeigte sich mit ihrem Film „Zustand und Gelände“ als scharfe Kommentatorin der politischen Geschichte Deutschlands und gleichermaßen als versierte Essayfilmerin, die sich über die Visualität des Stadtraums der Struktur von Gesellschaft und Geschichte nähert. Derzeit lehrt sie an der Universität Hildesheim zur Frage „Was wir vom Dokumentarfilm erwarten wollen“. Želimir Žilnik galt als einer der radikalsten Filmemacher der jugoslawischen schwarzen Welle der 1960er Jahre und gehört gegenwärtig zu den wichtigsten künstlerischen Stimmen Serbiens. Durch seinen vielfältigen Umgang mit der dokumentarischen Form hat er in den vergangenen Jahrzehnten grundlegende Fragen zur Natur des Dokumentarfilms im Verhältnis zur Macht politischer Systeme eröffnet.

Die Woche der Kritik 2022 findet vom 9. bis 17. Februar 2022 statt. Das Filmprogramm beginnt am Donnerstag, dem 10. Februar, im Hackesche Höfe Kino.

Künstlerische Leitung der Woche der Kritik ab 2022 im Kollektiv

Seit acht Jahren bringt die Woche der Kritik während der Berlinale aufregende Filme des internationalen Kinogeschehens miteinander in neue Konstellationen, um Debatten zur Politik des Kinos anzustoßen und die Routinen des Festivalbetriebs infrage zu stellen. Nach der Gründung des Projekts durch die Filmkritiker*innen Dunja Bialas, Jennifer Borrmann, Frédéric Jaeger, Claus Löser und Dennis Vetter übernahm Frédéric Jaeger 2014 die künstlerische Leitung der Veranstaltung. Er übergab sie 2020 an Dennis Vetter, der 2021 eine kollektive künstlerische Leitung ins Leben rief. Diese bildet er ab der Festivalausgabe 2022 gemeinsam mit Amos Borchert, Elena Friedrich, Istvan Gyöngyösi und Petra Palmer.

Amos Borchert arbeitet als freier Programmmacher und Organisator, er huldigt dem Anachronismus in Videothek und Filmklub. Er organisiert das GEGENkino Festival sowie die Kurdischen Filmtage in Leipzig und ist Mitbegründer der Videokunst-Ausstellung paradoks und Mitglied in der Migrant*innen-Selbstorganisation DOZ e.V.

Istvan Gyöngyösi ist Kurator, Autor, Redakteur und Filmemacher. Er kuratierte Film, Medienkunst und Musik u.a. beim Zeitfluss Festival Salzburg, der Sommerszene Salzburg, der Diagonale Graz und dem Donaufestival Krems. Seit 2013 ist er Redaktionsmitglied von Revolver, Zeitschrift für Film. 2018 wurde sein Film „Making Off (Germania Dreamland)“ für den deutschen Kurzfilmpreis nominiert.

Elena Friedrich arbeitet als Filmemacherin im Dokumentar- und Experimentalfilm sowie in der Filmproduktion und -vermittlung. Ihre Projekte basieren auf interdisziplinären, kollaborativen Arbeitsweisen an der Schnittstelle zu bildender Kunst und Performance. Aktuell arbeitet sie an ihrem Langfilm „Die Folgen des Alexanders“.

Petra Palmer ist Filmkuratorin mit Fokus auf experimentellen, ethnografischen, dokumentarischen Filmformen sowie spanischsprachige Filmgeschichte. Sie war Programmleiterin des Japanischen Filmfestivals Nippon Connection, arbeitete beim goEast Filmfestival und war Projektleiterin beim Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg.

Dennis Vetter arbeitet als freier Filmkritiker, Moderator, Filmvermittler und Programmgestalter. Er veröffentlichte Texte zum Kino in rund 30 Medien, unter anderem kolik.film, taz, cléo Journal und Senses of Cinema. Er ist Vorstandsmitglied im Verband der deutschen Filmkritik, Gründungsmitglied der Woche der Kritik und seit 2014 Teil der Auswahlkommission.

Die Filmauswahl der Woche der Kritik erfolgt durch ein internationales Team von vorwiegend Filmkritiker*innen, dessen Besetzung jährlich wechselt. Die Filmauswahl der Festivalausgabe 2022 kuratieren Dunja Bialas, Victor Guimarães, Istvan Gyöngyösi, Lucía Salas und Dennis Vetter. Gastprogramme entstehen in Zusammenarbeit mit Ute Adamczewski, Želimir Žilnik sowie weiteren internationalen Regisseur*innen.