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Blog #2/18 - Kunst und Vertrauen

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Blog #2/18 - Kunst und Vertrauen

Blog #2/18 - Kunst und Vertrauen

von Stefanie Diekmann

Kunst und Vertrauen: Manana (Nata Murvanidze) hat etwas geschrieben, das ihrer Familie nicht gefällt und deshalb erst einmal verbrannt wird. Von dem Geschriebenen existieren aber weitere Typoskripte, Versionen, von denen eine bereits übersetzt worden ist, während andere in unbekannter Zahl an Verlage und Lektoren verteilt sind. „Pornografie“, sagt die Verlegerin und will weder publizieren noch weiterlesen. „Tagebuch, immer noch“, sagt der Vater und Übersetzer und bekommt fast einen Schlaganfall.

Es ist also ziemlich unklar, was die Protagonistin des Films Scary Mother geschrieben hat. Ein Journal, ein pornografisches Tagebuch, eine Polemik oder einen Roman, in dem neben Pornografie noch anderes vorkommt, zum Beispiel die Stellen, die ihrer Familie nicht gefallen haben, weil sie nicht schön vom Familienleben sprechen. Unklar ist auch, was sie eigentlich mit dem Geschriebenen will, ob sie überhaupt etwas damit will, und: ob es vielleicht nur darum geht, das Geschriebene nicht zurückzunehmen. An der Publikation liegt ihr allemal weniger als ihrem Komplizen, der einen Schreibwarenladen betreibt und am Ende eine alte Druckerpresse in den Hof stellt. An der Verbrennung des ersten Typoskripts nimmt sie teil, als ginge es sie nicht mehr viel an. Und auch sonst wandert die Figur, die hier als Autorin präsentiert wird, durch den Film wie eine, die bereits nicht mehr ganz da ist, nicht mehr von dieser Welt, unbehaust und einer Untoten sehr ähnlich.

scary mother 8

(Figuren, die sich auf dieselbe Weise durch die bewohnte Welt bewegen, sind in der ersten und der zweiten Staffel von Les Revenants zu sehen. Auch dort sind sie nicht in den Wohnungen zu halten, und wenn ihre Abwesenheit einst auch beklagt und betrauert worden ist, gilt zugleich, dass sie die Lebenden verstören und ein Platz für sie nicht mehr zu finden sein wird.)

Es hätte interessant sein können, darüber ins Gespräch zu kommen. Über die Typoskripte, die mehr als eins sind und bereits in der Welt (und in anderen Händen), als der Film beginnt. Über die Unbehauste, die schreibt und schläft und die dabei, wie übrigens fast alle Figuren in Scary Mother, an jene Filmgestalten erinnert, die sich früher oder später in Vampire verwandeln und dann etwas Schreckliches tun, das sie vielleicht schon einmal getan haben. Über die Brücke, die in die Bilder dieses Films gehängt ist, als sei sie in der Luft verankert; über die poröse Fassade eines retrofuturistischen Wohnturms; über die ausgedünnten und die ausgedachten Interieurs; über die Gänge der Figuren, wenn die Brücke unablässig in beide Richtungen überquert wird; über die somnambulen Bewegungen der Kamera und diejenigen, die sehr präzise und in Abstimmung mit den Gängen geführt sind; über Aufnahmewinkel und Untersichten und darüber, wie eine Welt, die aus einem Wohnturm, einer Brücke, einem Schreibwarenladen und ein paar Innenräumen besteht, in einem Film vorkommen kann, ohne existent zu erscheinen.

© Jan Zappner
© Jan Zappner

Indes: Das Gespräch nach dem Film begann mit der Frage, ob es Einflüsse gegeben habe. (Das kommt vor: Leute, die Filme machen, besuchen Filmvorführungen, sind Einflüssen ausgesetzt, und manchmal ist ihren eigenen Filmen anzusehen, welche das sind.) Ob es etwas ausmache, wenn der Vater Filmregisseur sei (da die Autorin im Film einen Vater hat, der auch mit Textarbeit befasst ist). Ob der Film als Erstes der Familie gezeigt wurde (da die erste Lesung des bösen Textes im Kreise der Familie stattfindet). Ob die Familie der Regisseurin den Film gemocht habe (da die Familie im Film mit so viel Ablehnung reagiert); ob der Support auch sonst gut sei (im Film fehle er ja auffallend); und weiter: wie Stefanie Sargnagel und Kleber Mendonça Filho, die ebenfalls am Tisch und in der Nähe eines Mikrofons saßen, damit umgingen, wenn Freunde, Familie, Kollegen sich in Texten oder Filmen wiedererkennen; sowie, nicht zu vergessen: was Ana Urushadze über den eigenen Arbeits- und Schreibprozess zu erzählen habe.

(Wann ist die Rede vom Schreibprozess in die Welt gebracht worden, und wann hört sie endlich wieder auf?)

Schreibprozesse: In Scary Mother sind sie in vielen Formen in Gang und auf mehreren Trägern festgehalten. Auf Papier, aber auch auf der Haut, die noch in der letzten Einstellung mit einem Stift traktiert wird, was aber nur aus der Distanz und durch ein Fenster gefilmt worden ist. Schriftzüge, mit schwarzem Stift und in feinem Strich auf den Unterarm gesetzt, sehen bei bestimmter Beleuchtung und in der Halbnahen so aus wie Adern, die kurz davor stehen, durch die Haut zu brechen: Das werde ich aus dieser Sichtung zurückbehalten, dazu das seltsame Geschehen auf der Tonspur und die Andeutung von Ekel, die in den bleichen Farben und Gesichtern nistet.

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